Geschichten, die grammatische Regeln vermitteln
Vergangenheit
Der hinterhältige Nagel
Johannes Merkel
1.
Oben im dritten Stock eines Hauses steckte ein Nagel in der Wand. Dort steckte er schon viele Jahre, der Putz, in dem er steckte, war mit den Jahren ganz brüchig geworden. Eines Tages jedoch bemerkte dieser Nagel, dass er nur noch locker in der Wand saß. Er ruckelte etwas hin, dann etwas her, ruckelte nach oben, dann nach unten und schon hatte er den Putz so weit gelockert, dass er sich aus der Wand herausziehen konnte. Das hätte er aber besser bleiben lassen sollen!
Denn an dem Nagel hing ein Bild. Und weil es der Nagel nicht mehr hielt, fiel das Bild auf die Blumenvase, die unter ihm auf einer Kommode stand. Die Vase kippte um, das Wasser aus der Vase lief über die Kommode, plätscherte auf den Fußboden und bildete dort eine Pfütze. Es dauerte nicht lang, da sickerte das Wasser der Pfütze durch die Decke in das Stockwerk darunter.
Im zweiten Stock hing eine Schnur von der Decke. Von dem Wasser, das durch die Decke sickerte, wurde die Schnur feucht, weichte auf und riss mittendurch.
An der Schnur hing ein Vogelkäfig und, weil die Schnur riss, fiel der Käfig auf den Fußboden. Dabei sprang das Käfigtürchen auf. In dem Vogelkäfig saß ein Papagei, der flog aus dem Käfig, flatterte durch das Zimmer und krächzte.
Die Hausfrau hörte den Papagei krächzen. Sie kam sie ins Zimmer gelaufen, um ihn einzufangen, aber der Papagei bekam es mit der Angst und ließ einen Vogeldreck fallen. Die Frau trat auf den Vogeldreck, rutschte aus und fiel der Länge nach hin. Im Fallen suchte sie sich irgendwo festzuhalten, erwischte das Tischtuch und riss es vom Tisch.
Auf dem Tischtuch stand ein Saftbecher, der wurde vom Tisch gezogen und rollte über den Fußboden. Der rote Saft, lief aus und floss über die Fußbodenbretter. Es dauerte nicht lang, da sickerte der Saft durch die Decke ins Stockwerk darunter.
Im ersten Stockwerk saß der Hausherr in einem Sessel und las in der Zeitung. Plopp, fiel plötzlich ein Tropfen Saft von der Decke und malte einen roten Fleck auf die Zeitung. Plopp. Plopp. Noch ein Tropfen, noch ein Fleck und noch einer. "Was ist das für eine Sauerei?" schimpfte der Mann und blickte nach oben. Plopp. Da landete ein Tropfen Saft direkt auf seiner Nasenspitze.
2.
Nein! Das ging ihm wirklich zu weit! Der Hausherr holte den Tropfen von der Nasenspitze und fauchte ihn an: "Was fällt dir ein, mir auf die Nasenspitze zu tropfen?"
"Nur aus Versehen, aus Versehen, ist das geschehen! Das musst du verstehen!" entschuldigte sich der Safttropfen. "Was kann ich denn dafür? Wenn mich doch der Saftbecher da oben über den Fußboden auskippte! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat der Saftbecher!"
Achso, es war also der Saftbecher, der dort oben im zweiten Stock seinen Saft auskippte! Na warte! Der Hausherr hastete über die Treppe hoch und stürmte ins Zimmer. Dort holte er den Saftbecher vom Fußboden. "Was fällt dir ein, deinen Saft einfach über den Fußboden auszukippen?"
"Nanu, nanu! Hör mir mal zu! Und bitte, gib Ruh!" wunderte sich der Saftbecher. "Was kann ich denn dafür? Wenn mich doch das Tischtuch vom Tisch zog! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat das Tischtuch!"
Achso, es war also das Tischtuch, das den Saftfbecher vom Tisch zog! Na warte! Der Hausher griff nach dem Tischtuch. "Was fällt dir ein, den Saftbecher einfach vom Tisch zu ziehen?"
"Gemach! Gemach! Denk doch erst mal nach, wer das verbrach!" verteidigte sich das Tischtuch. "Was kann ich denn dafür? Wenn sich doch die Frau an mir festhielt und mich vom Tisch riss! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat die Frau!"
Achso, es war also seine eigene Frau, die sich am Tischtuch festhielt und es vom Tisch riss. Na warte! Der Mann ging auf seine Frau los. "Was fällt dir ein, dich einfach am Tischtuch festzuhalten und es vom Tisch zu reißen?"
"Mann, o Mann, mach mich nicht an! Ich tu, was ich kann!" wehrte sich die Frau. "Was kann ich denn dafür? Wenn ich doch auf dem Vogeldreck ausgerutscht bin, den der Papagei auf den Fußboden fallen ließ! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat der Papagei!"
Achso, es war also der Papagei, der seinen Dreck auf den Fußboden fallen ließ. Na warte! Der Papagei hatte sich inzwischen auf einem Schrank in Sicherheit gebracht. Der Mann drohte ihm mit dem Finger. "Was fällt dir ein, deinen Dreck einfach auf den Fußboden fallen zu lassen?"
"Ach, ach, ach! Was soll der Krach? Mach mich nicht schwach!" krächzte der Papagei. "Was kann ich denn dafür? Wenn doch der Vogelkäfig von der Decke stürzte und das Türchen aufsprang! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat der Vogelkäfig!"
Achso, es war also der Vogelkäfig, der von der Decke stürzte und den Papagei freiließ. Na warte! Der Mann packte den Vogelkäfig. "Was fällt dir ein, einfach von der Decke zu stürzen und den Papagei freizulassen?"
"Augenblick! Augenblick! Das kommt mir zu dick! Nimm das zurück!" beschwerte sich der Vogelkäfig. "Was kann ich denn dafür? Wenn doch die Schnur mittendurch riss, ich zu Boden stürzte und mein Türchen aufsprang! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat die Schnur!"
Achso, es war also die Schnur, die mittendurch riss. Na warte! Der Mann griff sich ein Ende der zerrissenen Schnur. "Was fällt dir ein, einfach auseinanderzureißen?"
"Was soll die Tour? Stell dich nicht stur! Ich bin nur die Schnur!" keuchte die Schnur. "Was kann ich denn dafür? Wenn doch das Wasser durch die Decke sickerte und mich aufweichte! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat das Wasser!"
Achso, es war also das Wasser, das durch die Decke sickerte und die Schnur aufweichte. Na warte! Der Mann rannte über die Treppe in den dritten Stock. Da erblickte er auch schon die Pfütze auf dem Boden und die umgestürzte Vase auf der Kommode. "Was fällt dir ein, dein Wasser einfach über den Fußboden auszugießen?"
"Sachte! Sachte! Bitte, beachte, dass es hier krachte!" konterte die Vase "Was kann ich denn dafür? Wenn doch das Bild auf mich fiel und mich umstieß! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat das Bild!"
Achso, es war also das Bild, das die Vase umstieß. Na warte! Der Mann schüttelte den Bilderrahmen. "Was fällt dir ein, einfach die Vase umzustoßen?"
"Blablabla, was quasselst du da für ein Trallala!" protestierte der Bilderrahmen. "Was kann ich denn dafür? Wenn sich doch der Nagel da oben aus der Wand zog und mich herabfallen ließ! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat der Nagel!"
Achso, es war also der Nagel, der sich aus der Wand zog und das Bild herabfallen ließ. Na warte! Der Mann blickte sich um, um sich den Nagel zu greifen. Aber wo war bloß der Nagel?
3.
Als er sich aus der Wand gezogen hatte, war der Nagel auf den Sessel gefallen und unter ein Kissen gerollt. Als er ihn nicht finden konnte, rief der Hausherr: "Hörst du, Früchtchen? Komm freiwllig raus oder du wirst mich kennen lernen!" Aber der Nagel hatte keine Lust, den zornigen Hausherrn kennen zu lernen, und blieb in seinem Versteck.
Da machte sich der Hausherr daran, den Nagel zu suchen. Vielleicht lag er ja unter dem Tisch. Von wegen! Unter dem Tisch fand der Hausherr nur eine verrostete Gabel, aber keinen Nagel.
Vielleicht war er ja unter den Sessel gerollt. Der Hausherr schob den Sessel beiseite. Von wegen! Unter dem Sessel fand er nur eine schimmlige Brotrinde, aber keinen Nagel.
Vielleicht war er ja unter den Teppich gerutscht. Der Hausherr rollte den Teppich zusammen. Von wegen! Unter dem Teppich entdeckte er nur zertretene Nusschalen, aber keinen Nagel.
Wo, meint ihr, suchte der wütende Hausherr noch nach dem verschwundenen Nagel?
Schließlich dachte der Hausherr: "Ob der Nagel vielleicht unter die Kommode geraten ist?" Er legte sich auf den Bauch und tastete mit der Hand den Boden unter der Kommode ab. Einen Nagel konnte er nicht ertasten, aber plötzlich spürte er einen heftigen Schmerz an einem Finger. Aua! Da sah er eine Katze unter der Kommode hervorschießen, die sich dort versteckt hatte. Das Biest hatte ihn in den Finger gebissen. Und jetzt sprang sie auf einen Stuhl, vom Stuhl auf die Kommode, von der Kommode auf ein Regalbrett, auf dem ein Blumentopf stand. Weil aber hinter dem Blumentopf nicht genug Platz für die dicke Katze war, schob sie den Blumentopf über den Rand des Regalbrettes und der Blumentopf fiel dem wütenden Hausherrn direkt auf den Kopf. Aua! Der heulte vor Schmerz auf und ließ sich in den Sessel fallen. Auf dem Sessel aber lag das Kissen und unter dem Kissen lag der Nagel. Und was machte der? Der stach den wütenden Mann in den Hintern. So ein hinterhältiger Nagel!
Aha, jetzt wusste der Hausherr wenigstens, wo der Nagel steckte. Er holte ihn unter dem Kissen vor und fuhr ihn an: "Na warte, Früchtchen! Du bringst mir mein Haus nicht noch einmal durcheinander! Weißt du, was ich mit dir mache? Ich werde dich so in die Wand klopfen, dass du dich nie mehr wirst herausziehen können, das verspreche ich dir."
Und damit holte er einen Hammer, aber nicht so ein gewöhnliches Hämmerchen. Nein, damit der hinterhältige Nagel sich bestimmt nie mehr aus der Wand ziehen konnte, holte er den großen Vorschlaghammer. Dann schob er den Nagel in das Loch im Putz, wo er schon vorher gesteckt hatte, nahm den schweren Hammer und schlug zu. Aber was machte der hinterhältige Nagel? Der saß ja ganz locker in dem Loch, und als der gute Mann zuschlug, bewegte er sich etwas nach unten, der Hammer schlug zu, aber traf nur die Wand über dem Loch und hinterließ dort eine tiefe Delle. Wütend schlug der Mann gleich wieder zu und zielte dabei etwas weiter nach unten, um den Nagel ganz bestimmt zu treffen. Aber was machte da der hinterhältige Nagel? Er bewegte sich etwas nach oben, und wieder traf der Hammer daneben und schlug unter dem Nagel eine Delle in die Wand. Da griff der Mann mit einer Hand nach dem Nagel, um ihn fest zu halten, und schlug mit der anderen Hand zu. Der Nagel konnte sich zwar jetzt nicht mehr bewegen, aber auch der gute Mann konnte mit einer Hand nicht mehr genau zielen und klopfte sich auf den Finger. Das tat vielleicht weh! Da war der Mann erst richtig wütend. Na warte! sagte er sich, fasste den dicken Vorschlaghammer mit beiden Händen und schlug mit aller Kraft zu. Und was passierte? Der Vorschlaghammer durchschlug die Wand, der Nagel flog nach draußen und landete zwischen Steinbrocken und Putzteilen unten auf der Straße.
Ich weiß nicht, was weiter aus ihm geworden ist, ob er da liegen blieb, ob ihn jemand entdeckte und mitnahm oder was der hinterhältige Nagel sonst noch angestellt hat. Aber eines möchte ich euch raten: Falls ihr irgendwo einen dicken rostigen Nagel seht, lasst den besser liegen. Es könnte der hinterhältige Nagel sein und es könnte euch passieren, dass der euch ganz gewaltig austrickst.
(Aus: Johannes Merkel: Das Krokodil an der Ampel. Zeichnungen: Dieter Malzacher, Berlin 1988)
Vergangenheit
Der hinterhältige Nagel
Johannes Merkel
1.
Oben im dritten Stock eines Hauses steckte ein Nagel in der Wand. Dort steckte er schon viele Jahre, der Putz, in dem er steckte, war mit den Jahren ganz brüchig geworden. Eines Tages jedoch bemerkte dieser Nagel, dass er nur noch locker in der Wand saß. Er ruckelte etwas hin, dann etwas her, ruckelte nach oben, dann nach unten und schon hatte er den Putz so weit gelockert, dass er sich aus der Wand herausziehen konnte. Das hätte er aber besser bleiben lassen sollen!
Denn an dem Nagel hing ein Bild. Und weil es der Nagel nicht mehr hielt, fiel das Bild auf die Blumenvase, die unter ihm auf einer Kommode stand. Die Vase kippte um, das Wasser aus der Vase lief über die Kommode, plätscherte auf den Fußboden und bildete dort eine Pfütze. Es dauerte nicht lang, da sickerte das Wasser der Pfütze durch die Decke in das Stockwerk darunter.
Im zweiten Stock hing eine Schnur von der Decke. Von dem Wasser, das durch die Decke sickerte, wurde die Schnur feucht, weichte auf und riss mittendurch.
An der Schnur hing ein Vogelkäfig und, weil die Schnur riss, fiel der Käfig auf den Fußboden. Dabei sprang das Käfigtürchen auf. In dem Vogelkäfig saß ein Papagei, der flog aus dem Käfig, flatterte durch das Zimmer und krächzte.
Die Hausfrau hörte den Papagei krächzen. Sie kam sie ins Zimmer gelaufen, um ihn einzufangen, aber der Papagei bekam es mit der Angst und ließ einen Vogeldreck fallen. Die Frau trat auf den Vogeldreck, rutschte aus und fiel der Länge nach hin. Im Fallen suchte sie sich irgendwo festzuhalten, erwischte das Tischtuch und riss es vom Tisch.
Auf dem Tischtuch stand ein Saftbecher, der wurde vom Tisch gezogen und rollte über den Fußboden. Der rote Saft, lief aus und floss über die Fußbodenbretter. Es dauerte nicht lang, da sickerte der Saft durch die Decke ins Stockwerk darunter.
Im ersten Stockwerk saß der Hausherr in einem Sessel und las in der Zeitung. Plopp, fiel plötzlich ein Tropfen Saft von der Decke und malte einen roten Fleck auf die Zeitung. Plopp. Plopp. Noch ein Tropfen, noch ein Fleck und noch einer. "Was ist das für eine Sauerei?" schimpfte der Mann und blickte nach oben. Plopp. Da landete ein Tropfen Saft direkt auf seiner Nasenspitze.
2.
Nein! Das ging ihm wirklich zu weit! Der Hausherr holte den Tropfen von der Nasenspitze und fauchte ihn an: "Was fällt dir ein, mir auf die Nasenspitze zu tropfen?"
"Nur aus Versehen, aus Versehen, ist das geschehen! Das musst du verstehen!" entschuldigte sich der Safttropfen. "Was kann ich denn dafür? Wenn mich doch der Saftbecher da oben über den Fußboden auskippte! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat der Saftbecher!"
Achso, es war also der Saftbecher, der dort oben im zweiten Stock seinen Saft auskippte! Na warte! Der Hausherr hastete über die Treppe hoch und stürmte ins Zimmer. Dort holte er den Saftbecher vom Fußboden. "Was fällt dir ein, deinen Saft einfach über den Fußboden auszukippen?"
"Nanu, nanu! Hör mir mal zu! Und bitte, gib Ruh!" wunderte sich der Saftbecher. "Was kann ich denn dafür? Wenn mich doch das Tischtuch vom Tisch zog! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat das Tischtuch!"
Achso, es war also das Tischtuch, das den Saftfbecher vom Tisch zog! Na warte! Der Hausher griff nach dem Tischtuch. "Was fällt dir ein, den Saftbecher einfach vom Tisch zu ziehen?"
"Gemach! Gemach! Denk doch erst mal nach, wer das verbrach!" verteidigte sich das Tischtuch. "Was kann ich denn dafür? Wenn sich doch die Frau an mir festhielt und mich vom Tisch riss! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat die Frau!"
Achso, es war also seine eigene Frau, die sich am Tischtuch festhielt und es vom Tisch riss. Na warte! Der Mann ging auf seine Frau los. "Was fällt dir ein, dich einfach am Tischtuch festzuhalten und es vom Tisch zu reißen?"
"Mann, o Mann, mach mich nicht an! Ich tu, was ich kann!" wehrte sich die Frau. "Was kann ich denn dafür? Wenn ich doch auf dem Vogeldreck ausgerutscht bin, den der Papagei auf den Fußboden fallen ließ! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat der Papagei!"
Achso, es war also der Papagei, der seinen Dreck auf den Fußboden fallen ließ. Na warte! Der Papagei hatte sich inzwischen auf einem Schrank in Sicherheit gebracht. Der Mann drohte ihm mit dem Finger. "Was fällt dir ein, deinen Dreck einfach auf den Fußboden fallen zu lassen?"
"Ach, ach, ach! Was soll der Krach? Mach mich nicht schwach!" krächzte der Papagei. "Was kann ich denn dafür? Wenn doch der Vogelkäfig von der Decke stürzte und das Türchen aufsprang! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat der Vogelkäfig!"
Achso, es war also der Vogelkäfig, der von der Decke stürzte und den Papagei freiließ. Na warte! Der Mann packte den Vogelkäfig. "Was fällt dir ein, einfach von der Decke zu stürzen und den Papagei freizulassen?"
"Augenblick! Augenblick! Das kommt mir zu dick! Nimm das zurück!" beschwerte sich der Vogelkäfig. "Was kann ich denn dafür? Wenn doch die Schnur mittendurch riss, ich zu Boden stürzte und mein Türchen aufsprang! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat die Schnur!"
Achso, es war also die Schnur, die mittendurch riss. Na warte! Der Mann griff sich ein Ende der zerrissenen Schnur. "Was fällt dir ein, einfach auseinanderzureißen?"
"Was soll die Tour? Stell dich nicht stur! Ich bin nur die Schnur!" keuchte die Schnur. "Was kann ich denn dafür? Wenn doch das Wasser durch die Decke sickerte und mich aufweichte! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat das Wasser!"
Achso, es war also das Wasser, das durch die Decke sickerte und die Schnur aufweichte. Na warte! Der Mann rannte über die Treppe in den dritten Stock. Da erblickte er auch schon die Pfütze auf dem Boden und die umgestürzte Vase auf der Kommode. "Was fällt dir ein, dein Wasser einfach über den Fußboden auszugießen?"
"Sachte! Sachte! Bitte, beachte, dass es hier krachte!" konterte die Vase "Was kann ich denn dafür? Wenn doch das Bild auf mich fiel und mich umstieß! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat das Bild!"
Achso, es war also das Bild, das die Vase umstieß. Na warte! Der Mann schüttelte den Bilderrahmen. "Was fällt dir ein, einfach die Vase umzustoßen?"
"Blablabla, was quasselst du da für ein Trallala!" protestierte der Bilderrahmen. "Was kann ich denn dafür? Wenn sich doch der Nagel da oben aus der Wand zog und mich herabfallen ließ! Ist doch glasklar, dass ich das nicht war. Schuld hat der Nagel!"
Achso, es war also der Nagel, der sich aus der Wand zog und das Bild herabfallen ließ. Na warte! Der Mann blickte sich um, um sich den Nagel zu greifen. Aber wo war bloß der Nagel?
3.
Als er sich aus der Wand gezogen hatte, war der Nagel auf den Sessel gefallen und unter ein Kissen gerollt. Als er ihn nicht finden konnte, rief der Hausherr: "Hörst du, Früchtchen? Komm freiwllig raus oder du wirst mich kennen lernen!" Aber der Nagel hatte keine Lust, den zornigen Hausherrn kennen zu lernen, und blieb in seinem Versteck.
Da machte sich der Hausherr daran, den Nagel zu suchen. Vielleicht lag er ja unter dem Tisch. Von wegen! Unter dem Tisch fand der Hausherr nur eine verrostete Gabel, aber keinen Nagel.
Vielleicht war er ja unter den Sessel gerollt. Der Hausherr schob den Sessel beiseite. Von wegen! Unter dem Sessel fand er nur eine schimmlige Brotrinde, aber keinen Nagel.
Vielleicht war er ja unter den Teppich gerutscht. Der Hausherr rollte den Teppich zusammen. Von wegen! Unter dem Teppich entdeckte er nur zertretene Nusschalen, aber keinen Nagel.
Wo, meint ihr, suchte der wütende Hausherr noch nach dem verschwundenen Nagel?
Schließlich dachte der Hausherr: "Ob der Nagel vielleicht unter die Kommode geraten ist?" Er legte sich auf den Bauch und tastete mit der Hand den Boden unter der Kommode ab. Einen Nagel konnte er nicht ertasten, aber plötzlich spürte er einen heftigen Schmerz an einem Finger. Aua! Da sah er eine Katze unter der Kommode hervorschießen, die sich dort versteckt hatte. Das Biest hatte ihn in den Finger gebissen. Und jetzt sprang sie auf einen Stuhl, vom Stuhl auf die Kommode, von der Kommode auf ein Regalbrett, auf dem ein Blumentopf stand. Weil aber hinter dem Blumentopf nicht genug Platz für die dicke Katze war, schob sie den Blumentopf über den Rand des Regalbrettes und der Blumentopf fiel dem wütenden Hausherrn direkt auf den Kopf. Aua! Der heulte vor Schmerz auf und ließ sich in den Sessel fallen. Auf dem Sessel aber lag das Kissen und unter dem Kissen lag der Nagel. Und was machte der? Der stach den wütenden Mann in den Hintern. So ein hinterhältiger Nagel!
Aha, jetzt wusste der Hausherr wenigstens, wo der Nagel steckte. Er holte ihn unter dem Kissen vor und fuhr ihn an: "Na warte, Früchtchen! Du bringst mir mein Haus nicht noch einmal durcheinander! Weißt du, was ich mit dir mache? Ich werde dich so in die Wand klopfen, dass du dich nie mehr wirst herausziehen können, das verspreche ich dir."
Und damit holte er einen Hammer, aber nicht so ein gewöhnliches Hämmerchen. Nein, damit der hinterhältige Nagel sich bestimmt nie mehr aus der Wand ziehen konnte, holte er den großen Vorschlaghammer. Dann schob er den Nagel in das Loch im Putz, wo er schon vorher gesteckt hatte, nahm den schweren Hammer und schlug zu. Aber was machte der hinterhältige Nagel? Der saß ja ganz locker in dem Loch, und als der gute Mann zuschlug, bewegte er sich etwas nach unten, der Hammer schlug zu, aber traf nur die Wand über dem Loch und hinterließ dort eine tiefe Delle. Wütend schlug der Mann gleich wieder zu und zielte dabei etwas weiter nach unten, um den Nagel ganz bestimmt zu treffen. Aber was machte da der hinterhältige Nagel? Er bewegte sich etwas nach oben, und wieder traf der Hammer daneben und schlug unter dem Nagel eine Delle in die Wand. Da griff der Mann mit einer Hand nach dem Nagel, um ihn fest zu halten, und schlug mit der anderen Hand zu. Der Nagel konnte sich zwar jetzt nicht mehr bewegen, aber auch der gute Mann konnte mit einer Hand nicht mehr genau zielen und klopfte sich auf den Finger. Das tat vielleicht weh! Da war der Mann erst richtig wütend. Na warte! sagte er sich, fasste den dicken Vorschlaghammer mit beiden Händen und schlug mit aller Kraft zu. Und was passierte? Der Vorschlaghammer durchschlug die Wand, der Nagel flog nach draußen und landete zwischen Steinbrocken und Putzteilen unten auf der Straße.
Ich weiß nicht, was weiter aus ihm geworden ist, ob er da liegen blieb, ob ihn jemand entdeckte und mitnahm oder was der hinterhältige Nagel sonst noch angestellt hat. Aber eines möchte ich euch raten: Falls ihr irgendwo einen dicken rostigen Nagel seht, lasst den besser liegen. Es könnte der hinterhältige Nagel sein und es könnte euch passieren, dass der euch ganz gewaltig austrickst.
(Aus: Johannes Merkel: Das Krokodil an der Ampel. Zeichnungen: Dieter Malzacher, Berlin 1988)