Geschichten, die grammatische Regeln vermitteln
Subjekt-Verb-Entsprechung
Der Papagei als Doktor
Johannes Merkel
1.
Wisst ihr, was Hypnose ist? Das ist ein seltsamer Zustand. Wer hypnotisiert ist, verliert den eigenen Willen und macht das, was ihm der Hypnotiseur vorsagt. Einen Menschen zu hypnotisieren ist aber nicht einfach, das kann nicht jeder und erst recht darf das nicht jeder, das dürfen nur Leute ausüben die es für ihren Beruf brauchen, z.B. ein Arzt oder ein Psychologe.
Meine Geschichte erzählt von einem Doktor, der seine Patienten mit Hypnose behandelte. Zu ihm kamen Leute, die ständig machten, was sie das gar nicht wollten, die es aber nicht schafften, damit aufzuhören. Wenn zum Beispiel ein Mann in die Praxis kam, der sich das Rauchen abgewöhnen wollte, aber trotzdem eine Zigarette nach der anderen anzündete, dann lächelte ihn der Doktor freundlich an und sagte: „Davon werde ich Sie befreien.“ Dazu blickte ihm der Doktor erst scharf in die Augen, bis er in Hypnose fiel, dann sagte er: „Sie werden nie wieder rauchen. Wiederholen Sie! Was machen Sie?“ Wenn der Mann antwortete: „Ich werde nie wieder rauchen,“ dann sagte der Doktor: „Behandlung erfolgreich beendet. Wachen Sie wieder auf!“ Und wenn alles gut ging, fasste der Mann wirklich nie mehr eine Zigarette an.
Im Sprechzimmer dieses Doktors stand ein Käfig mit einem Papagei. Der Käfig war so geräumig wie ein kleines Zimmer, denn der Doktor wünschte, dass sein Papagei darin herumfliegen konnte. Aber der Papagei flog nur selten durch den Käfig. Er hockte lieber auf seiner Stange und beobachtete, wie der Doktor Patienten hypnotisierte. Weil ihn der Papagei so oft beobachtet hatte wusste er genau, was der Doktor sagen würde. Sobald der Doktor die Patienten anlächelte, krächzte der Papagei schon vor dem Doktor: „Davon werde ich Sie befreien.“
Dann schimpfte der Doktor: „Halt die Schnauze!“
Was der Doktor aber gar nicht ahnte: Weil der Papagei den Doktor so oft beim Hypnotisieren beobachtet hatte, wusste er am Ende sogar ganz genau, wie man einen Menschen hypnotisiert.
2.
Eines Tages kam eine dicke Frau zu diesem Doktor und jammerte: „Bitte, bitte, helfen Sie mir, Herr Doktor! Ich ärgere mich, dass ich so dick bin. Und wenn ich mich darüber ärgere, muss ich was gegen den Ärger machen und esse Schokkolade und süße Stückchen. Davon werde ich noch dicker, muss mich noch mehr ärgern und noch mehr Schokolade und süße Stückchen essen und werde davon noch dicker. Ist das nicht furchtbar?“
Nun, der Doktor lächelte sie freundlich an. Aber was krächzte der Papagei, bevor es der Doktor sagen konnte? „Davon werde ich Sie befreien!“
„Halt die Schnauze!“ schimpfte der Doktor.
In diesem Moment klingelte das Telefon: Auf der Straße hatte sich ein Mann verletzt und der Doktor musste ihm zu Hilfe kommen. Darum sagte er zu der guten Frau: „Gedulden Sie sich bitte einen Augenblick? Ich komme gleich wieder.“
Er ließ die Frau im Sprechzimmer sitzen und ging weg. Und weil sich die Frau langweilte, ging sie zum Käfig, in dem der Papagei hockte und meinte: „Ach Gott, was bist du für ein putziges Tierchen!“
Da blickte sie der Papagei scharf an, wie er das immer bei dem Doktor beobachtet hatte, und die Dame fiel in Hypnose.
„Du machst alles, was ich dir sage!“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was sagte die hypnotisierte Dame? „Ich mache alles, was du mir sagst!“
„Du machst mir den Käfig auf!“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was sagte die hypnotisierte Dame? „Ich mache dir den Käfig auf!“ Und sie sagte es nicht nur, sie öffnete auch den Käfig.
„Du bringst mir so viele Körner, wie ich fressen will,“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was sagte die hypnotisierte Dame? „Ich bringe dir so viele Körner, wie du fressen willst.“ Und damit lief sie zur Sprechstundenhilfe und fuhr die Arzthelferin an: „Warum lassen Sie das arme Tierchen verhungern?“
Aber die Arzthelferin meinte: „Ach was, der hat doch grade erst seine Portion gekriegt.“
Leute, die hypnotisiert sind, wollen unbedingt ausführen, was ihnen der Hypnotiseur gesagt hat. Obwohl sie so dick war, sprang die gute Frau über den Tresen und griff nach dem Glas mit Körnern im Regal hinter der Arzthelferin.
„Was fällt Ihnen ein!“ wunderte sich die Arzthelferin und wollte der Dame das Glas aus der Hand nehmen.
In diesem Augenblick kam der Papagei aus dem Sprechzimmer geflattert. „O Gott, das Vieh ist ausgebrochen!“ rief die Arzthelferin und versuchte den Vogel einzufangen. Was machte da der Papagei? Er blickte ihr scharf in die Augen und auch die Arzthelferin war hypnotisiert.
„Du setzt dich auf deinen Hintern!“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was antwortete die Arzthelferin? „Ich setze mich auf meinen Hintern.“ Und damit setzte sie sich brav wieder hinter den Tresen, während die hypnotisierte Dame das ganze Glas Futter auf dem Tresen auskippte. Da könnt ihr euch denken, was der Papagei machte.
3.
Während er auf dem Tresen herumpickte, kam der Doktor zurück. Er sah den Papagei auf dem Tresen in einen Haufen Körner picken, die Arzthelferin hinter dem Tresen sitzen, ohne einzugreifen und die dicke Frau, die immerzu rief: "Lass dir's schmecken, mein Lieber! Lass dir's schmecken!"
Der Doktor zog die Augenbrauen zusammen und schimpfte: „Was ist denn hier los?“
Da drehte sich der Papagei um, sah den Doktor und blickte ihm scharf in die Augen. Und was passierte? Auch der Doktor war hypnotisiert.
„Du hast Probleme!“ krächzte der Papagei. „Du brauchst eine Behandlung. Wiederhole: Was brauchst du?“
Und was antwortete der Doktor? „Ich habe Probleme. Ich brauche eine Behandlung.“
„Davon werde ich dich befreien“, krächzte der Papagei. „Du legst dich auf die Couch und atmest ganz ruhig! Wiederhole: Was machst du?“
Und was antwortete der Doktor? „Ich lege mich auf die Couch und atme ganz ruhig.“ Und damit ging er brav ins Behandlungszimmer, legte sich auf die Couch.
Der Papagei aber hockte sich auf den Arztstuhl. „Ab jetzt bin ich der Doktor und du bist der Papagei! Wiederhole!"
Und was antwortete der Doktor? „Ab jetzt bist du der Doktor und ich bin der Papagei!"
"Du sitzt im Käfig und ich sitze im Arztstuhl," sagte der Papagei. "Wiederhole!"
Und was antwortete der Doktor? "Ich sitze im Käfig und du im Arztstuhl"
"Behandlung erfolgreich beendet," kächzte der Papagei. "Wach wieder auf!"
Der Doktor wachte auf und setzte sich brav in den Käfig. Der war zum Glück ja groß genug, dass er sich reinzwängen und drin sitzen konnte. Nur darin herumfliegen, das konnte er nicht. Der Papagei aber throhnte auf dem Arztstuhl und wartete auf Patienten.
4.
Inzwischen kam die dicke Frau wieder ins Behandlungszimmer gestürzt und fragte: "Herr Doktor, wann bin denn ich endlich dran?"
"Du bist jetzt dran", krächzte der Papagei. "Hör zu! Du bist zu dünn! Du musst essen, was du essen kannst, damit du eine gute Figur kriegst. Wiederhole!"
Und was meinte die dicke Frau? "Ich muss essen, was ich essen kann, damit ich eine gute Figur bekomme."
"Behandlung beendet. Wach auf!"
Nach der dicken Frau kam eine Ehepaar in das Behandlungszimmer und erklärte: "Herr Doktor, wir verstehen uns irgendwie nicht mehr. Immer muss der eine von uns das Gegenteil von dem behaupten, was der andere meint."
"Wie meinen Sie das?" fragte der Doktor Papagei.
"Stellen Sie sich vor, was die verrückte Kuh zu mir sagt!" erklärte der Ehemann, "Wenn ich zum Beispiel sage, dieses Schränkchen hier ist in einem wunderbaren Blau gestrichenm, dann fährt mir meine Frau über den Mund: 'Bist du farbenblind? Das ist doch grün gestrichen, das sieht doch jedes Kind!"
Und die Ehefrau schimpfte: Ja, was glauben Sie, wie mir der alte Esel übers Maul fährt! Wenn ich frisch gebrühten Kaffee auf den Tisch stelle, behauptet er doch stur, der Kaffee schmeckt wieder wie lauwarmes Spülwasser."
"Davon werde ich Sie befreien!" kärchzte Doktor Papagei. Er blickte sie nacheinander scharf an, bis sie in Hypnose fielen. Dann wies er sie an: "Ihr sollt aufhören, miteinander zu quatschen! Wiederholt!"
"Wir sollen aufhören, miteinander zu quatschen," wiederholten die beiden.
"Stattdessen sollt ihr euch kratzen, beißen und schlagen. Wiederholt!"
"Stattdessen sollen wir uns kratzen, beißen und schlagen." "Behandlung erfolgreich beendet. Wacht auf!"
Und was taten die beiden, als sie nach Hause gingen? Statt sich mit Worten zu streiten, kratzten, bissen und schlugen sie sich.
5.
Als nächste Patientin kam eine Mutter mit ihrem Sohn ins Sprechzimmer und jammerte: "Herr Doktor, ich weiß mir nicht mehr ein noch aus! Immer wenn ich meinen Jungen küssen will, spuckt er mich an."
"Davon werde ich ihn befreien!" krächzte Doktor Papagei. Er blickte dem Jungen scharf in die Augen und schon war der Junge hypnotisiert.
"Wenn du deine Mutter siehst, wirst du sie küssen. Wiederhole!"
Und was antwortete der Junge? "Wenn ich meine Mutter sehe, werde ich sie küssen."
Danach blickte der Papgei auch der Mutter scharf in die Augen. "Wenn dich dein Junge küssen will, wirst du ihn anspucken. Wiederhole!"
Und was wiederholte die gute Frau? "Wenn mich mein Junge küssen will, werde ich ihn anspucken."
"Behandlung erfolgreich beendet," kächzte der Papagei. "Wacht wieder auf!"
Was werden die beiden gemacht haben, sobald sie wieder nach Hause kamen? Na klar, kaum sah der Junge die Mutter, versuchte er sie zu küssen. Und wie fand das die Mutter? Sie spuckte ihn an!
So oder so ähnlich behandelte der Papagei alle Patienten. Wer kam da wohl noch alles zum Doktor, von welchen Problemen wollten sie befreit werden und wie kurierte sie der Doktor Papgei?
6.
Das konnte natürlich auf die Dauer nicht gut gehen. Die Patienten erzählten herum, was für ein verrückter Vogel den Doktor spielte und die Angehörigen wunderten sich über die unsinnigen Behandlungen, die er ihnen andrehte.
Das Ehepaar zum Beispiel, das sich ständig kratzte, biss und schlug, hatte schon fast erwachsene Kinder, und die sagten: "Wie kann denn das sein? Unsere Eltern gingen doch zum Doktor, damit sie sich wieder besser verstehen. Und was machen sie stattdessen: Sie kratzen, beißen und schlagen sich, und es ist schlimmer als zuvor. Was ist denn das für ein Doktor?"
Und deswegen beschwerten sie sich beim Gesundheitsamt. Dort trafen sie auf eine Frau, die berichtete, dass sie mit ihrem Jungen zum Doktor ging, weil er sie anspuckte, wenn sie ihn küssen wollte. "Stellen Sie sich vor, da hockte so ein komischer Vogel auf dem Arztstuhl. Ich weiß auch nicht, was der mit mir gemacht hat, aber jetzt muss ich immer meinen Jungen anspucken, wenn der mich küssen will."
Da staunte auch der Direktor des Gesundheitsamtes: "Wie bitte? ein Papagei als Doktor? Sind Sie sich da ganz sicher?"
Der Direktor machte sich sofort auf den Weg, um in dieser Praxis nach dem Rechten zu sehen. Die Arzthelferin führte ihn in das Behandlungszimmer und wer saß da auf dem Arztstuhl? Nein, nicht der Papagei, sondern der richtige Arzt. Der Käfig für den Papagei aber war leer. Was war passiert?
Am Tag zuvor waren es auf der Straße vor der Arztpraxis ein Lastwagen frontal gegen die Hauswand geknallt, in der sich die Arztpraxis befand. Es hatte einen furchtbaren Knall gegeben, der Boden und die Wände wackelten durch die Erschütterung und in der Fassade des Hauses klaffte ein riesiges Loch.
Der hypnotisierte Arzt im Käfig und die hypnotisierte Arzthelferin waren zusammengezuckt und furchtbar erschrocken. Krach und Erschrecken aber kann einen Hypnotisierten aus der Hypnose reißen und darum wachten der Arzt und die Arzthelferin aus der Hypnose auf. Zu Tode erschrocken war aber auch der Papagei. Er flatterte vom Arztstuhl hoch und brachte sich durch das offene Fenster in Sicherheit.
Die Arzthelferin kam in das Behandlungszimmer gerannt und bemerkte, dass der Papagei verschwunden war. Da redete sie der Arzt im Käfig an und fragte: "Sagen Sie mal, bin ich eigentlich der Papagei oder der Doktor?"
"Ich glaube fast, Sie sind der Doktor und der Papagei ist nur ein Papagei," meinte die Arzthelferin.
Die Beiden beschlossen, dem Papagei aufzulauern, sobald er zurück kam. Dazu setzten sie sich dicke Sonnenbrillen auf die Nase und versteckten sie sich hinter den langen Vorhängen des Behandlungsraums. Ahnt ihr, wozu sie sich die Sonnenbrillen aufsetzten? Natürlich, damit ihnen der verrückte Vogel nicht in die Augen sehen und sie wieder hypnotiiseren konnte.
Tatsächlich dauerte es nicht lange, der Papagei bekam Hunger und kehrte zurück. Da sprangen die beiden hinter dem Vorhang vor, um sich den listigen Vogel zu greifen. Sie erwischten ihn aber nur an den Flügel, jeder hielt ihn an einem seiner Flügel fest. Der Papagei aber schlug so wild mit den Flügeln, dass ihm dabei die Federn ausrissen, an denen die Beiden ihn hielten. Die Arzthelferin und der Doktor hielten nur noch die ausgerissenen Papageienfedern in den Händen und er konnte durch das Fenster entkommen.
7.
Wohin er geflogen ist und was er weiter getrieben hat, weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, dass der durchtriebene Vogel wieder alle möglichen Leute, die ihm über den Weg liefen, hypnotisierte und damit reichlich Quatsch anrichtete. Hat einer von euch eine Idee, wem der verrückte Vogel noch begegnete, wen er hypnotisierte und was er dabei anstellte?
Was machte er wohl, um seinen Hunger zu stillen? Zur Praxis ist er doch bestimmt nicht mehr zurückgeflogen. Wie wird er versucht haben, sich Futter zu besorgen? Vielleicht flog er in einen Supermarkt. Wen wird er dort wohl hypnotisiert haben, um an Körner zu kommen?
Als er wieder satt war, hat er sicher wieder Unsinn gemacht. Zum Beispiel könnte er einen Polizeibeamten hypnotisiert haben. Wie er das fertig brachte? Vielleicht setzte er sich auf die Motorhaube eines Polizeifahrzeugs, als das gerade bei Rot an der Ampel hielt. Dabei hat er sich den Fahrer scharf angesehen und schon war der gute Mann hypnotisiert. Ich schätze, er ließ sich von ihm im Polizeiauto durch die Stadt kutschieren. Wer weiß, vielleicht hat er dem Polizeibeamten sogar befohlen, immer bei Rot über die Ampel zu fahren und bei Grün zu halten. Ich hoffe, dass der hypnotisierte Beamte schlau genug war, um dabei das Blaulicht und die Sirenen einzuschalten, damit ihnen kein Wagen in die Quere kam, wenn sie bei Rot über die Ampel jagten.
Es könnte aber auch so gekommen sein: Eine tierliebe Frau sah ihn auf einem Baum sitzen und lockte ihn mit Futter. Dabei hat der ausgetrickste Vogel die gute Frau hypnotisiert und ihr befohlen, mit ihm nach Afrika zu fliegen. Um das zu bezahlen, musste die Frau ihre Ersparnisse von der Bank abheben, flog mit dem Papagei nach Afrika und ließ ihn dort frei. Was wird er wohl in Afrika angestellt haben?
Aber vielleicht blieb er dort auch gar nicht lange. Angenommen, dort entdeckte ihn ein Tierfänger aus Deutschland, betäubte ihnmit einem Gas, als der Papagei auf einem Baum schlief, und brachte den betäubten Vogel nach Deutschland, um ihn für teures Geld zu verkaufen. Der Tierfänger konnte nicht ahnen, über welche Fähigkeiten dieser Vogel verfügte. Als er ihn zu Hause aus dem Sack holte, dürfte der Papagei den Tierfänger hypnotisiert und ihm eingeredet haben, dass er gar kein Tierfänger, sondern eigentlich ein Papagei sei und dann verkaufte der Papagei den Tierfänger vielleicht an einen Zoo. Was glaubt ihr, was der Papagei mit dem vielen Geld anstellte, das er für den Riesenpapagei bekam?
Am Ende könnte sich der Papagei vielleicht sogar in euer Klassenzimmer verirren. Was glaubt ihr, wen würde er dort hypnotisieren und was würde er den Hypnotisierten alles einreden?
[Sprachförderung: Bildung der Verbform gemäß dem Subjekt. Dazu lässt man die Zuhörer die Anweisungen, die der Papagei den Hypnotisierten erteilt, als Antwort in der Ich-Form wiedergeben)
Subjekt-Verb-Entsprechung
Der Papagei als Doktor
Johannes Merkel
1.
Wisst ihr, was Hypnose ist? Das ist ein seltsamer Zustand. Wer hypnotisiert ist, verliert den eigenen Willen und macht das, was ihm der Hypnotiseur vorsagt. Einen Menschen zu hypnotisieren ist aber nicht einfach, das kann nicht jeder und erst recht darf das nicht jeder, das dürfen nur Leute ausüben die es für ihren Beruf brauchen, z.B. ein Arzt oder ein Psychologe.
Meine Geschichte erzählt von einem Doktor, der seine Patienten mit Hypnose behandelte. Zu ihm kamen Leute, die ständig machten, was sie das gar nicht wollten, die es aber nicht schafften, damit aufzuhören. Wenn zum Beispiel ein Mann in die Praxis kam, der sich das Rauchen abgewöhnen wollte, aber trotzdem eine Zigarette nach der anderen anzündete, dann lächelte ihn der Doktor freundlich an und sagte: „Davon werde ich Sie befreien.“ Dazu blickte ihm der Doktor erst scharf in die Augen, bis er in Hypnose fiel, dann sagte er: „Sie werden nie wieder rauchen. Wiederholen Sie! Was machen Sie?“ Wenn der Mann antwortete: „Ich werde nie wieder rauchen,“ dann sagte der Doktor: „Behandlung erfolgreich beendet. Wachen Sie wieder auf!“ Und wenn alles gut ging, fasste der Mann wirklich nie mehr eine Zigarette an.
Im Sprechzimmer dieses Doktors stand ein Käfig mit einem Papagei. Der Käfig war so geräumig wie ein kleines Zimmer, denn der Doktor wünschte, dass sein Papagei darin herumfliegen konnte. Aber der Papagei flog nur selten durch den Käfig. Er hockte lieber auf seiner Stange und beobachtete, wie der Doktor Patienten hypnotisierte. Weil ihn der Papagei so oft beobachtet hatte wusste er genau, was der Doktor sagen würde. Sobald der Doktor die Patienten anlächelte, krächzte der Papagei schon vor dem Doktor: „Davon werde ich Sie befreien.“
Dann schimpfte der Doktor: „Halt die Schnauze!“
Was der Doktor aber gar nicht ahnte: Weil der Papagei den Doktor so oft beim Hypnotisieren beobachtet hatte, wusste er am Ende sogar ganz genau, wie man einen Menschen hypnotisiert.
2.
Eines Tages kam eine dicke Frau zu diesem Doktor und jammerte: „Bitte, bitte, helfen Sie mir, Herr Doktor! Ich ärgere mich, dass ich so dick bin. Und wenn ich mich darüber ärgere, muss ich was gegen den Ärger machen und esse Schokkolade und süße Stückchen. Davon werde ich noch dicker, muss mich noch mehr ärgern und noch mehr Schokolade und süße Stückchen essen und werde davon noch dicker. Ist das nicht furchtbar?“
Nun, der Doktor lächelte sie freundlich an. Aber was krächzte der Papagei, bevor es der Doktor sagen konnte? „Davon werde ich Sie befreien!“
„Halt die Schnauze!“ schimpfte der Doktor.
In diesem Moment klingelte das Telefon: Auf der Straße hatte sich ein Mann verletzt und der Doktor musste ihm zu Hilfe kommen. Darum sagte er zu der guten Frau: „Gedulden Sie sich bitte einen Augenblick? Ich komme gleich wieder.“
Er ließ die Frau im Sprechzimmer sitzen und ging weg. Und weil sich die Frau langweilte, ging sie zum Käfig, in dem der Papagei hockte und meinte: „Ach Gott, was bist du für ein putziges Tierchen!“
Da blickte sie der Papagei scharf an, wie er das immer bei dem Doktor beobachtet hatte, und die Dame fiel in Hypnose.
„Du machst alles, was ich dir sage!“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was sagte die hypnotisierte Dame? „Ich mache alles, was du mir sagst!“
„Du machst mir den Käfig auf!“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was sagte die hypnotisierte Dame? „Ich mache dir den Käfig auf!“ Und sie sagte es nicht nur, sie öffnete auch den Käfig.
„Du bringst mir so viele Körner, wie ich fressen will,“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was sagte die hypnotisierte Dame? „Ich bringe dir so viele Körner, wie du fressen willst.“ Und damit lief sie zur Sprechstundenhilfe und fuhr die Arzthelferin an: „Warum lassen Sie das arme Tierchen verhungern?“
Aber die Arzthelferin meinte: „Ach was, der hat doch grade erst seine Portion gekriegt.“
Leute, die hypnotisiert sind, wollen unbedingt ausführen, was ihnen der Hypnotiseur gesagt hat. Obwohl sie so dick war, sprang die gute Frau über den Tresen und griff nach dem Glas mit Körnern im Regal hinter der Arzthelferin.
„Was fällt Ihnen ein!“ wunderte sich die Arzthelferin und wollte der Dame das Glas aus der Hand nehmen.
In diesem Augenblick kam der Papagei aus dem Sprechzimmer geflattert. „O Gott, das Vieh ist ausgebrochen!“ rief die Arzthelferin und versuchte den Vogel einzufangen. Was machte da der Papagei? Er blickte ihr scharf in die Augen und auch die Arzthelferin war hypnotisiert.
„Du setzt dich auf deinen Hintern!“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was antwortete die Arzthelferin? „Ich setze mich auf meinen Hintern.“ Und damit setzte sie sich brav wieder hinter den Tresen, während die hypnotisierte Dame das ganze Glas Futter auf dem Tresen auskippte. Da könnt ihr euch denken, was der Papagei machte.
3.
Während er auf dem Tresen herumpickte, kam der Doktor zurück. Er sah den Papagei auf dem Tresen in einen Haufen Körner picken, die Arzthelferin hinter dem Tresen sitzen, ohne einzugreifen und die dicke Frau, die immerzu rief: "Lass dir's schmecken, mein Lieber! Lass dir's schmecken!"
Der Doktor zog die Augenbrauen zusammen und schimpfte: „Was ist denn hier los?“
Da drehte sich der Papagei um, sah den Doktor und blickte ihm scharf in die Augen. Und was passierte? Auch der Doktor war hypnotisiert.
„Du hast Probleme!“ krächzte der Papagei. „Du brauchst eine Behandlung. Wiederhole: Was brauchst du?“
Und was antwortete der Doktor? „Ich habe Probleme. Ich brauche eine Behandlung.“
„Davon werde ich dich befreien“, krächzte der Papagei. „Du legst dich auf die Couch und atmest ganz ruhig! Wiederhole: Was machst du?“
Und was antwortete der Doktor? „Ich lege mich auf die Couch und atme ganz ruhig.“ Und damit ging er brav ins Behandlungszimmer, legte sich auf die Couch.
Der Papagei aber hockte sich auf den Arztstuhl. „Ab jetzt bin ich der Doktor und du bist der Papagei! Wiederhole!"
Und was antwortete der Doktor? „Ab jetzt bist du der Doktor und ich bin der Papagei!"
"Du sitzt im Käfig und ich sitze im Arztstuhl," sagte der Papagei. "Wiederhole!"
Und was antwortete der Doktor? "Ich sitze im Käfig und du im Arztstuhl"
"Behandlung erfolgreich beendet," kächzte der Papagei. "Wach wieder auf!"
Der Doktor wachte auf und setzte sich brav in den Käfig. Der war zum Glück ja groß genug, dass er sich reinzwängen und drin sitzen konnte. Nur darin herumfliegen, das konnte er nicht. Der Papagei aber throhnte auf dem Arztstuhl und wartete auf Patienten.
4.
Inzwischen kam die dicke Frau wieder ins Behandlungszimmer gestürzt und fragte: "Herr Doktor, wann bin denn ich endlich dran?"
"Du bist jetzt dran", krächzte der Papagei. "Hör zu! Du bist zu dünn! Du musst essen, was du essen kannst, damit du eine gute Figur kriegst. Wiederhole!"
Und was meinte die dicke Frau? "Ich muss essen, was ich essen kann, damit ich eine gute Figur bekomme."
"Behandlung beendet. Wach auf!"
Nach der dicken Frau kam eine Ehepaar in das Behandlungszimmer und erklärte: "Herr Doktor, wir verstehen uns irgendwie nicht mehr. Immer muss der eine von uns das Gegenteil von dem behaupten, was der andere meint."
"Wie meinen Sie das?" fragte der Doktor Papagei.
"Stellen Sie sich vor, was die verrückte Kuh zu mir sagt!" erklärte der Ehemann, "Wenn ich zum Beispiel sage, dieses Schränkchen hier ist in einem wunderbaren Blau gestrichenm, dann fährt mir meine Frau über den Mund: 'Bist du farbenblind? Das ist doch grün gestrichen, das sieht doch jedes Kind!"
Und die Ehefrau schimpfte: Ja, was glauben Sie, wie mir der alte Esel übers Maul fährt! Wenn ich frisch gebrühten Kaffee auf den Tisch stelle, behauptet er doch stur, der Kaffee schmeckt wieder wie lauwarmes Spülwasser."
"Davon werde ich Sie befreien!" kärchzte Doktor Papagei. Er blickte sie nacheinander scharf an, bis sie in Hypnose fielen. Dann wies er sie an: "Ihr sollt aufhören, miteinander zu quatschen! Wiederholt!"
"Wir sollen aufhören, miteinander zu quatschen," wiederholten die beiden.
"Stattdessen sollt ihr euch kratzen, beißen und schlagen. Wiederholt!"
"Stattdessen sollen wir uns kratzen, beißen und schlagen." "Behandlung erfolgreich beendet. Wacht auf!"
Und was taten die beiden, als sie nach Hause gingen? Statt sich mit Worten zu streiten, kratzten, bissen und schlugen sie sich.
5.
Als nächste Patientin kam eine Mutter mit ihrem Sohn ins Sprechzimmer und jammerte: "Herr Doktor, ich weiß mir nicht mehr ein noch aus! Immer wenn ich meinen Jungen küssen will, spuckt er mich an."
"Davon werde ich ihn befreien!" krächzte Doktor Papagei. Er blickte dem Jungen scharf in die Augen und schon war der Junge hypnotisiert.
"Wenn du deine Mutter siehst, wirst du sie küssen. Wiederhole!"
Und was antwortete der Junge? "Wenn ich meine Mutter sehe, werde ich sie küssen."
Danach blickte der Papgei auch der Mutter scharf in die Augen. "Wenn dich dein Junge küssen will, wirst du ihn anspucken. Wiederhole!"
Und was wiederholte die gute Frau? "Wenn mich mein Junge küssen will, werde ich ihn anspucken."
"Behandlung erfolgreich beendet," kächzte der Papagei. "Wacht wieder auf!"
Was werden die beiden gemacht haben, sobald sie wieder nach Hause kamen? Na klar, kaum sah der Junge die Mutter, versuchte er sie zu küssen. Und wie fand das die Mutter? Sie spuckte ihn an!
So oder so ähnlich behandelte der Papagei alle Patienten. Wer kam da wohl noch alles zum Doktor, von welchen Problemen wollten sie befreit werden und wie kurierte sie der Doktor Papgei?
6.
Das konnte natürlich auf die Dauer nicht gut gehen. Die Patienten erzählten herum, was für ein verrückter Vogel den Doktor spielte und die Angehörigen wunderten sich über die unsinnigen Behandlungen, die er ihnen andrehte.
Das Ehepaar zum Beispiel, das sich ständig kratzte, biss und schlug, hatte schon fast erwachsene Kinder, und die sagten: "Wie kann denn das sein? Unsere Eltern gingen doch zum Doktor, damit sie sich wieder besser verstehen. Und was machen sie stattdessen: Sie kratzen, beißen und schlagen sich, und es ist schlimmer als zuvor. Was ist denn das für ein Doktor?"
Und deswegen beschwerten sie sich beim Gesundheitsamt. Dort trafen sie auf eine Frau, die berichtete, dass sie mit ihrem Jungen zum Doktor ging, weil er sie anspuckte, wenn sie ihn küssen wollte. "Stellen Sie sich vor, da hockte so ein komischer Vogel auf dem Arztstuhl. Ich weiß auch nicht, was der mit mir gemacht hat, aber jetzt muss ich immer meinen Jungen anspucken, wenn der mich küssen will."
Da staunte auch der Direktor des Gesundheitsamtes: "Wie bitte? ein Papagei als Doktor? Sind Sie sich da ganz sicher?"
Der Direktor machte sich sofort auf den Weg, um in dieser Praxis nach dem Rechten zu sehen. Die Arzthelferin führte ihn in das Behandlungszimmer und wer saß da auf dem Arztstuhl? Nein, nicht der Papagei, sondern der richtige Arzt. Der Käfig für den Papagei aber war leer. Was war passiert?
Am Tag zuvor waren es auf der Straße vor der Arztpraxis ein Lastwagen frontal gegen die Hauswand geknallt, in der sich die Arztpraxis befand. Es hatte einen furchtbaren Knall gegeben, der Boden und die Wände wackelten durch die Erschütterung und in der Fassade des Hauses klaffte ein riesiges Loch.
Der hypnotisierte Arzt im Käfig und die hypnotisierte Arzthelferin waren zusammengezuckt und furchtbar erschrocken. Krach und Erschrecken aber kann einen Hypnotisierten aus der Hypnose reißen und darum wachten der Arzt und die Arzthelferin aus der Hypnose auf. Zu Tode erschrocken war aber auch der Papagei. Er flatterte vom Arztstuhl hoch und brachte sich durch das offene Fenster in Sicherheit.
Die Arzthelferin kam in das Behandlungszimmer gerannt und bemerkte, dass der Papagei verschwunden war. Da redete sie der Arzt im Käfig an und fragte: "Sagen Sie mal, bin ich eigentlich der Papagei oder der Doktor?"
"Ich glaube fast, Sie sind der Doktor und der Papagei ist nur ein Papagei," meinte die Arzthelferin.
Die Beiden beschlossen, dem Papagei aufzulauern, sobald er zurück kam. Dazu setzten sie sich dicke Sonnenbrillen auf die Nase und versteckten sie sich hinter den langen Vorhängen des Behandlungsraums. Ahnt ihr, wozu sie sich die Sonnenbrillen aufsetzten? Natürlich, damit ihnen der verrückte Vogel nicht in die Augen sehen und sie wieder hypnotiiseren konnte.
Tatsächlich dauerte es nicht lange, der Papagei bekam Hunger und kehrte zurück. Da sprangen die beiden hinter dem Vorhang vor, um sich den listigen Vogel zu greifen. Sie erwischten ihn aber nur an den Flügel, jeder hielt ihn an einem seiner Flügel fest. Der Papagei aber schlug so wild mit den Flügeln, dass ihm dabei die Federn ausrissen, an denen die Beiden ihn hielten. Die Arzthelferin und der Doktor hielten nur noch die ausgerissenen Papageienfedern in den Händen und er konnte durch das Fenster entkommen.
7.
Wohin er geflogen ist und was er weiter getrieben hat, weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, dass der durchtriebene Vogel wieder alle möglichen Leute, die ihm über den Weg liefen, hypnotisierte und damit reichlich Quatsch anrichtete. Hat einer von euch eine Idee, wem der verrückte Vogel noch begegnete, wen er hypnotisierte und was er dabei anstellte?
Was machte er wohl, um seinen Hunger zu stillen? Zur Praxis ist er doch bestimmt nicht mehr zurückgeflogen. Wie wird er versucht haben, sich Futter zu besorgen? Vielleicht flog er in einen Supermarkt. Wen wird er dort wohl hypnotisiert haben, um an Körner zu kommen?
Als er wieder satt war, hat er sicher wieder Unsinn gemacht. Zum Beispiel könnte er einen Polizeibeamten hypnotisiert haben. Wie er das fertig brachte? Vielleicht setzte er sich auf die Motorhaube eines Polizeifahrzeugs, als das gerade bei Rot an der Ampel hielt. Dabei hat er sich den Fahrer scharf angesehen und schon war der gute Mann hypnotisiert. Ich schätze, er ließ sich von ihm im Polizeiauto durch die Stadt kutschieren. Wer weiß, vielleicht hat er dem Polizeibeamten sogar befohlen, immer bei Rot über die Ampel zu fahren und bei Grün zu halten. Ich hoffe, dass der hypnotisierte Beamte schlau genug war, um dabei das Blaulicht und die Sirenen einzuschalten, damit ihnen kein Wagen in die Quere kam, wenn sie bei Rot über die Ampel jagten.
Es könnte aber auch so gekommen sein: Eine tierliebe Frau sah ihn auf einem Baum sitzen und lockte ihn mit Futter. Dabei hat der ausgetrickste Vogel die gute Frau hypnotisiert und ihr befohlen, mit ihm nach Afrika zu fliegen. Um das zu bezahlen, musste die Frau ihre Ersparnisse von der Bank abheben, flog mit dem Papagei nach Afrika und ließ ihn dort frei. Was wird er wohl in Afrika angestellt haben?
Aber vielleicht blieb er dort auch gar nicht lange. Angenommen, dort entdeckte ihn ein Tierfänger aus Deutschland, betäubte ihnmit einem Gas, als der Papagei auf einem Baum schlief, und brachte den betäubten Vogel nach Deutschland, um ihn für teures Geld zu verkaufen. Der Tierfänger konnte nicht ahnen, über welche Fähigkeiten dieser Vogel verfügte. Als er ihn zu Hause aus dem Sack holte, dürfte der Papagei den Tierfänger hypnotisiert und ihm eingeredet haben, dass er gar kein Tierfänger, sondern eigentlich ein Papagei sei und dann verkaufte der Papagei den Tierfänger vielleicht an einen Zoo. Was glaubt ihr, was der Papagei mit dem vielen Geld anstellte, das er für den Riesenpapagei bekam?
Am Ende könnte sich der Papagei vielleicht sogar in euer Klassenzimmer verirren. Was glaubt ihr, wen würde er dort hypnotisieren und was würde er den Hypnotisierten alles einreden?
[Sprachförderung: Bildung der Verbform gemäß dem Subjekt. Dazu lässt man die Zuhörer die Anweisungen, die der Papagei den Hypnotisierten erteilt, als Antwort in der Ich-Form wiedergeben)