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Geschichten, die grammatische Regeln vermitteln
Pronomen


Die außergewöhnlichen Zwillinge

Johannes Merkel

Meine Geschichte handelt von Zwillingen, einem Jungen und einem Mädchen, die beide ganz außergewöhnliche Begabungen hatten. Der Junge musste nur durch die Finger schauen und schon konnte er durch jede Wand sehen, gleichgültig, aus welchem Material sie gebaut und wie dick sie war. Und das Mädchen brauchte nur mit den Armen zu rudern und schon konnte sie durch jede Wand gehen, als bestünde sie nur aus Luft.
Leider verstanden sich die beiden gar nicht gut. Sie stritten sich nämlich ständig, wer von ihnen die erstaunlichere Begabung hatte, sie oder er.

1.
Zum Beispiel gingen diese Zwillinge eines Tages einen Waldweg entlang. Da trat die Schwester auf etwas Hartes.
"Ich hab was unter der Schuhsohle gespürt," sagte sie zu ihrem Bruder.
"Na und? Wird eben ein Steinchen sein," meinte der Junge.
"Nein, das fühlte sich anders an," fand das Mädchen. Mit einem Stöckchen lockerte sie an der Stelle die Erde und grub einen rostigen Schlüssel aus.
"Schmeiß das rostige Teil weg!" meinte der Junge.
"Warum? Vielleicht finde ich noch das Schloss für diesen Schlüssel." Damit steckte sie den rostigen Schlüssel in die Tasche.
Als sie weitergingen, blickte ihr Bruder plötzlich durch die Finger, lief zu einer viereckigen Steinplatte und versuchte sie wegzuschieben. Allein schaffte er das nicht und er rief die Schwester.
„Was willst du denn mit dem Stein?“ fragte sie.
"Frag nicht und hilf mir!"
Sie dachte nicht daran, ihm zu helfen, ohne dass er ihr verriet, was er entdeckt hatte. "Da drunter liegt ein alter Keller. Die Platte deckt einen Lüftungsschacht ab."
Na gut, sie half mit und sie konnten die Steinplatte beiseiteschieben. Der Bruder rief in den Schacht und seine Stimme kam daraus hohl und dumpf zurück.
"Was siehst du denn in dem Keller?" fragte die Schwester. Statt zu antworten versuchte er durch die Öffnung in den Keller einzusteigen. Leider war sie zu eng, um sich durchzuzwängen und darum erklärte er ihr: "Da unten liegt eine alte Kiste. Die will ich mir anschauen."
„Warum sagst du das nicht gleich?“ meinte die Schwester. Sie lief auf den Weg zurück, entdeckte die Kellertür, ruderte mit den Armen und drang durch die geschlossene Tür in den alten Keller ein. Tatsächlich lag auf dem Boden des Kellers eine verrostete Blechkiste.
"Hast du sie gefunden?" fragte der Bruder durch den Lüftungsschacht.
"Ja. Aber sie ist abgeschlossen," antwortete die Schwester von unten. Der Junge streckte beide Arme durch den Lüftungsschacht: "Gib sie mir hoch!"
Sie hob die Kiste, bis er sie mit den Händen erreichte. Als sie sich wieder nach draußen gerudert hatte, stand ihr Bruder vor der Kiste und klopfte mit einem Stein auf das Schloss, aber es hielt stand, er kriegte es nicht auf.
"Was ist denn in der Kiste drin?" fragte ihn die Schwester. Aber der Junge wollte ihr noch immer nichts verraten. Er suchte sich einen dickeren Stein, hob ihn hoch und ließ ihn auf die Kiste krachen. Sie bekam eine Beule, aber sie ging noch immer nicht auf.
"Warte!" sagte das Mädchen.
Könnt ihr euch denken, was sie machte? Sie holte den verrosteten Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn ins Schloss, und was passierte? Der Deckel sprang auf.
In der Kiste lag ein Häufchen alter Münzen, die sie zu einem Münzhändler brachten, der ihnen für die zweihundert Jahre alten Münzen hundert Euro zahlte.

Da begannen die Beiden sich zu streiten. Der Junge behauptete: "Das Geld gehört mir! Wer hat denn entdeckt, dass die alte Kiste voller Münzen steckt?"
"Wer hat denn den Schlüssel gefunden? Und wer hat die Kiste aus dem Keller geholt?" protestierte die Schwester.
Die Zwillinge konnten sich nicht einigen, sie stritten sich laut und heftig. Als eine Oma vorbeikam und fragte, warum sie sich streiten, baten die Zwillinge sie zu entscheiden, wer von ihnen das Geld kriegen soll.
Die Oma überlegte: Sollte sie die 100 Euro ihm oder ihr geben? Oder sollte sie beiden davon geben, aber ihm mehr als ihr, weil er die Kiste im Keller entdeckt hatte? Oder ihr mehr als ihm, weil sie die Kiste aus dem Keller geholt hatte?
Beide redeten sie auf die Oma ein, dass sie davon ganz wirr im Kopf wurde. Schließlich meinte sie: "Dann macht ihr eben einen Wettlauf bis zu der alten Eiche da hinten, und wer sie als zuerst erreicht, der kriegt das ganze Geld."
Zu dumm nur, dass sie gleichzeitig ankamen. Weil sie Zwillinge waren, waren sie eben gleich schnell.
Wem sollte die alte Dame jetzt das ganze Geld überlassen? Ihm oder ihr?

Wie hättet ihr anstelle der Oma entschieden? Hättet ihr ihm das ganze Geld überlassen oder ihr? Oder hättet ihr es zwischen beiden geteilt? Und wieviel hättet ihr dann ihm, und wieviel ihr zugesprochen?


2.
Ein anderes Mal gingen die außergewöhnlichen Zwillinge in einen Supermarkt, sahen dort Verkäuferinnen aufgeregt die Regale durchsuchen, und zwischen ihnen stand eine Frau und jammerte: "Es ist ein Familienerbstück! Es ist unersetzlich! Ich muss es wieder haben!"
Was ging da vor sich? Eine Verkäuferin erklärte ihnen, dass der Frau gerade eine wertvolle Kette vom Hals gesprungen war, als sie sich ausstreckte, um einen Artikel ganz oben aus einem Regalfach zu greifen.
"Beruhigen Sie sich doch!" redete der Abteilungsleiter des Supermarktes auf die fassungslose Frau ein. "Wir tun ja, was wir können. Wir werden Ihren Schmuck schon wieder finden."
Aber als der Junge durch die Finger schaute, flüsterte er seiner Schwester zu: "Der lügt. Der hat sich die Kette geschnappt, die hat er in der Hemdtasche." Kurz darauf verschwand der Abteilungsleiter in seinem Büro. Durch die Wand beobachtete der Bruder, dass er die Kette in seiner Schreibtischschublade verschwinden ließ. Danach kam er gleich wieder aus dem Büro, sperrte die Bürotür sorgfältig ab und tat so, als würde er weiter nach der Kette suchen.
Da ruderte die Schwester mit den Armen, schlüpfte ins Büro, holte die Kette aus der Schublade, kam zurück und rief: "Ich hab sie! Ich hab sie gefunden!" Und damit brachte sie der Frau die verlorene Kette.
Der Abteilungsleiter starrte sie fassungslos an, aber er wagte nichts zu sagen. Die Frau war überglücklich. "Ach Kinder," sagte sie, "ihr wisst gar nicht, was ihr mir da für eine Freude macht! Dafür möchte ich mich aber auch erkenntlich zeigen. Zur Belohnung bekommt ihr 200 Euro."
Und schon waren die beiden wieder am Streiten.
"Mir gehört die Belohnung!" rief der Junge. "Ich hab gespannt, dass der Kerl die Kette gemopst hat."
"Aber wer hat sie aus dem Büro geholt? Mir gehört Belohnung!" rief das Mädchen.
Da war die gute Frau ratlos: Sollte sie die 100 Euro ihm oder ihr geben? Oder sollte sie beiden davon geben, aber ihm mehr als ihr, weil er die Kette in der Hemdtasche des Geschäftsführers gesehen hatte? Oder ihr mehr als ihm, weil sie durch die Wand gegangen war, um die Kette zu holen?
"Hört auf zu streiten!" entschied die Frau. Sie ging mit den Zwillingen auf den Platz vor dem Supermarkt. Dort stand eine Eiche und weit oben in der Krone hatte eine Krähe ihr Nest gebaut. Die Frau holte zwei kleine Tomaten aus ihrer Tasche und sagte: "Wer von euch die Tomate in das Krähennest werfen kann, der bekommt die ganze Belohnung."
Da warfen beide eine Tomate nach dem Krähennest. Aber weil sie Zwillinge waren, waren sie gleich geschickt, beide Tomaten landeten exakt im Nest. Da wird die Krähe nicht schlecht gestaunt haben, als sie plötzlich zwei rote Eier in ihrem Nest entdeckte.
Die gute Frau war völlig verwirrt. Wem sollte sie jetzt das ganze Geld überlassen? Ihm oder ihr?
Wie hättet ihr anstelle der guten Frau entschieden? Hättet ihr ihm das ganze Geld überlassen oder ihr? Oder hättet ihr es zwischen beiden geteilt? Und wieviel hättet ihr dann ihm, und wieviel ihr zugesprochen?

3.
Eines Morgens kamen die beiden an einem Zeitungskiosk vorbei, da hing eine Zeitung mit der fetten Schlagzeile: Schnellster Windhund der Welt gestohlen!
Das Mädchen blieb stehen und las den Artikel auf der ersten Seite:
„Heute pünktlich um 12 Uhr startet das wichtigste Hunderennen der ganzen Welt. Leider ohne den schnellsten Windhund der Welt! Der rasende Harras, wie er genannt wird, wäre der absolute Favorit dieses Rennens. Leider verschwand er gestern Nacht auf ungeklärte Weise. Fassungslos stand der Hundehalter am Morgen vor dem Zwinger. Ihm wurde nicht nur ein wertvolles Tier gestohlen. Er muss auch den Siegespreis von einer Viertelmillion in den Wind schreiben.
Aufgepasst! Wer den wertvollen Windhund findet oder Hinweise auf den Dieb geben kann, erhält zur Belohnung 2000 Euro!“
„Was musst du den Quatsch lesen!“ meinte der Junge und zog seine Schwester vom Kiosk weg. Beim Weitergehen begegnete ihnen ein Mann, der einen riesigen Koffer auf den Schultern trug.
"Komisch!" dachte der Junge. "Wie der seinen Koffer trägt!" Er schaute durch die Finger. Dann flüsterte er: "Weißt du, was der in seinem Koffer hat? Einen Hund."
"Lebt er oder ist er tot?" fragte das Mädchen.
"Er rührt sich nicht, aber er atmet.“
Da folgten die beiden dem Kofferträger. Drei Straßen weiter verschwand er in einem Hotel.
"Was treibt er denn da drinnen?" fragte die Schwester.
Der Junge schaute durch die Finger: "Er nimmt sich ein Zimmer im Hotel. Warte, vielleicht kann ich auch seine Zimmernummer erkennen. Genau, es ist die 534."
Die beiden passten einen Augenblick ab, in dem die Rezeption nicht besetzt war, schlichen sich ins Hotel, nahmen den Aufzug in den fünften Stock und suchten das Zimmer 534.
"Was treibt der Kerl denn jetzt?" fragte die Schwester.
Der Bruder schaute wieder durch die Finger und sagte: "Der packt den Koffer in den Kleiderschrank und jetzt holt er sein Handy raus".
"Das hör ich mir an!" Die Schwester ruderte mit den Armen und drückte sich durch die Wand in das Bad des Hotelzimmers. Durch die halb offene Badetür konnte sie den Kerl beobachten, der ins Telefon redete und dabei ein Taschentusch vor den Mund hielt, um seine Stimme zu verstellen. "Das ist die letzte Warnung! Entweder Sie hinterlegen bis 24 Uhr eine Viertelmillion am vereinbarten Versteck. Oder wir machen aus ihrem weltberühmten Köter Hackfleisch. Kapiert?" Danach verließ er das Zimmer.
Die Schwester reagierte blitzschnell: Über das Hoteltelefon bestellte sie ein Taxi, packte den Koffer mit dem Windhund, kam durch die Tür heraus und dann fuhren die Beiden mit dem Aufzug bis zum Parkplatz des Hotels unten im Keller. Dort wartete schon das Taxi. Sie ließen sich zum Hunderennplatz fahren und brachten den schnellsten Windhund der Welt ins Rennbüro. Ein Tierarzt behandelte das Tier, es wachte auf und eine halbe Stunde später rannte der rasende Harras über die Rennbahn. Wie erwartet kam er als erster durchs Ziel.

Da hatten die beiden Zwillinge sich eine Belohnung von 2000 Euro verdient. Aber schon stritten sie wieder.
"Mir gehört die Belohnung!" behauptete der Junge. "Wer hat denn den Hund im Koffer entdeckt?"
"Und wer hat den Hund aus dem Hotelzimmer geholt?" protestierte das Mädchen. "Deshalb gehört die Belohnung mir!"
Der Hundehalter wusste nicht recht, was er dazu sagen sollte. Er überlegte: Sollte er die 2000 Euro ihm oder sollte er sie ihr geben? Oder sollte er sie besser aufteilen? Aber sollte er ihm dann mehr geben als ihr, weil er den Hund im Koffer entdeckt hatte? Oder ihr mehr geben als ihm, weil sie den Hund aus dem Zimmer geholt und mit dem Taxi zum Rennplatz gebracht hatte?
Das soll entscheiden, wer will! dachte der Hundehalter. Er ging mit den Zwillingen auf die Terrasse des Rennpavillons und zeigte auf eine Fahnenstange, der genau unter der Terrasse stand. Und er sagte: "Wer von euch mit seiner Spucke die Spitze der Fahnenstange trifft, der kriegt die ganze Belohnung".
Da spuckten die Zwillinge auf die Fahnenstange. Aber weil sie Zwillinge waren, trafen sie beide die Spitze der Fahnenstange.
"Ihr spuckt ja beide wie die Weltmeister", lachte der Hundehalter. Aber er war genauso schlau wie vorher. Wem sollte er nun die Belohnung geben? Ihm oder ihr?
Da lagen sich die Zwillinge wieder in den Haaren.
Wie hättet ihr anstelle des Hundehalters entschieden? Hättet ihr ihm das ganze Geld überlassen oder ihr? Oder hättet ihr es zwischen beiden geteilt? Und wieviel hättet ihr dann ihm, und wieviel ihr zugesprochen?

Ich denke, diese Zwillinge werden mit ihren außergewöhnlichen Begabungen noch mehr aufgedeckt und zum Dank dafür noch manche Belohnung kassiert haben. Aber ich fürchte, sie werden sich jedes Mal wieder in die Wolle gekommen sein, wer mit seiner Begabung mehr dazu beigetragen hat als der andere und wem deshalb die ganze Belohnung zusteht.

[Sprachförderung: Personalpronomen]
 
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Pronomen


Die Superschlauen und die Superdoofe
Johannes Merkel


Es waren einmal fünf Geschwister, drei Jungen und zwei Schwestern. Die drei Jungen und eine Schwester hielten sich für superschlau, deshalb nannten sie sich die Superschlauen und damit das auch alle mitkriegten, trugen sie Mützen mit der Aufschrift: „Die Superschlauen.“ Die zweite Schwester aber fanden sie viel zu doof, um bei ihnen mitzumachen und sie nannten nur die „Superdoofe.“

1.
Eines Tages hatten die Superschlauen auf einer Wiese Ball gespielt und waren davon ganz müde geworden. Sie legten sich auf die Wiese um auszuruhen und schliefen ein. Da schlich sich ihre dumme Schwester auf die Wiese, zog jedem vorsichtig die Schuhe aus und zog sie einem andern wieder an, ohne dass die drei Superschlauen aufwachten. Dann kitzelte die dumme Schwester den ältesten Bruder, verstecjkte sich und beobachtete, was passierte.
Der älteste Bruder wachte auf, rieb sich die Augen und starrte plötzlich auf seine Füße. Dann schaute er auf die Füße des Zweitältesten, sprang auf und stieß seinen Bruder an. Der Zweitälteste schreckte auf und fragte: "He, spinnst du?"
Der Älteste aber zeigte auf seine Füße und rief: „Wieso habe ich deine Beine?“ Und dann zeigte er auf die Füße des Zweitältesten. „Und wieso hast du meine Beine?“
Da schaute der Zweitälteste erst auf seine Beine, dann auf die Beine seines Bruders und begann zu jammern: „Ich will deine Beine nicht! Gib mir meine Beine zurück!“
Er griff mit beiden Händen nach den Beinen des Bruders, um sich seine Beine zurückzuholen. Der aber stieß ihn weg und deutete aufgeregt auf die Füße der Schwester: "Das darf nicht wahr sein! Sie hat seine Beine. Und schau dir ihn an! Er hat ihre Beine." Und damit zeigte er auf die Füße des jüngsten Bruders.
Davon war nun auch die Schwester aufgewacht und schimpfte: „Frechheit! Er hat mir meine Beine geklaut! Ich will seine Beine nicht, ich will meine Beine!“ Sie zog den jüngsten Bruder an den Beinen, der mit den Füßen nach ihr trat und jammerte: "Ich brauche deine blöden Beine nicht!
Du hast mir meine Beine weggenommen Meine Beine Ich kann will auf meinen Beinen laufen


Da gingen die Superschlauen aufeinander los, um die falschen Beine loszuwerden und sich ihre eigenen Beine wieder zu holen. Aber die Beine saßen fest und ließen sich einfach nicht abmachen.
„Halt!“ rief da der Älteste, der sich für den Allerschlauesten hielt: „Hört mir gut zu! Ich denke, wir sollten zu einem Arzt gehen, der uns die falschen Beine abmachen und uns unsere richtigen Beine wieder anbringen kann.“
"Das geht nicht!" rief der zweite Schlauberger. "Wie soll ich denn auf deinen krummen Beinen bis zum Arzt laufen?"

„Quatsch!“ protestierte der Älteste. „Meine Beine sind nicht krumm. Deine Beine taugen nichts. Außerdem sind sie hässlich!“
„Und was soll ich machen? Ich kann doch nicht auf Mädchenbeinen zum Arzt laufen! Wie sieht denn das aus?“ rief der dritte Bruder.
„Meinst du vielleicht, ich will auf deinen x-beinigen Stelzen herumlaufen? kommt ja gar nicht in die Tüte!“ rief die Schwester.

"Aber wir müssen doch zum Arzt gehen," stellte der Älteste fest. "Sonst müssen wir für immer die vertauschten Beine behalten."
Das aber wollten sie alle nicht.

Da hatte auch der zweitälteste Bruder, der sich für den zweitschlauesten hielt, einen superschlauen Einfall: "Wenn wir es auf den falschen Beinen nicht bis zum Arzt schaffen, muss uns eben ein Krankenwagen hinbringen."
Sie riefen einen Krankenwagen an und wurden bald darauf mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren.
Der Arzt im Kranknehaus bemerkte gleich, dass er es mit einer Truppe von Superschlauen zu tun hatte. Er blickt sie ernst an und erklärte: "Kinder, das ist eine schwierige Operation. Ich muss jedem von euch die Beine abnehmen und dann dann wieder bei dem annähen, dem sie gehören. Seid ihr entschlossen, euch dieser schwierigen Operation zu unterzeihen?“ Die vier Superschlauen nickten. Dann gab er ihnen eine Spritze, damit sie alle einschliefen. Als sie schliefen, zog er ihnen die Schuhe aus und zog jedem seine eigenen Schuhe wieder an.
Als der Älteste von den Superschlauen aus der Narkose erwachte und auf seine Beine schaute, stieß er den Zweiten an und rief: „Wahnsinn! Ich habe meine Beine wieder! Und du hast deine Beine! Er hat seine Beine! Und sie hat ihre Beine! War das nicht superschlau, dass wir gleich zum Arzt gegangen sind, um unsere richtigen Beine wieder zu kriegen?“
Der Arzt war ein Witzbold. Er machte sich einen Spaß daraus und sagte nach der Operation : „Kinder, wir haben es geschafft, aber es war harte Arbeit.“ Und dann schrieb er ihnen auf Klopapier eine Rechung über ganze dreitausend Euro.
Das wollten die Superschlauen gerne zahlen, weil sie dafür doch endlich ihre eigen Beine wieder hatten. Sie zeigten das Klopapier ihren Eltern, damit sie die Rechnung bezahlten. Glaubt ihr, die haben das auch wirklich bezahlt?
2.
In der Nachbarstraße gab es eine Bande, die nannten sich „die Blitzmerker“, weil sie glaubten, dass sie alles gleich bemerkten und sie keiner hinters Licht führen konnte. Wie die Superschlauen hatten sie sich ihren Namen auf die Mützen gestickt.
Die Superschlauen spielten immer mit den Blitzmerkern Fußball, weil sie gegen diese Transusen meistens gewannen. Und als sie wieder einmal mit den Blitzmerkern Fußball spielten und dazu ihre Kleider und Mützen abgelegt hatten, kam die superdoofe Schwester und vertauschte ihre Mützen.
Nach dem Spiel zogen sie sich an und da sah der Älteste der Superschlauen, dass auf den Mützen der Blitzmerker „Die Superschlauen“ stand. „Sie haben uns unsere Köpfe geklaut!“ rief er.
Sie schauten in den Spiegel und riefen alle zusammen: „Und wir haben ihre Köpfe auf!“
Die Blitzmerker brauchten natürlich etwas länger, bis sie bemerkten, dass sie die Köpfe der Superschlauen auf hatten. Dann aber schrieen sie umso lauter: „Wir wollen eure blöden Köpfe nicht! Gebt uns unsere Köpfe zurück!“
Und jetzt versuchten die Superschlauen und die Blitzmerker sich gegenseitig die Köpfe vom Leib zu reißen. Aber die Köpfe gingen einfach nicht ab. Da sagte der Älteste der Superschlauen: „Hört auf! Besser, wir gehen wieder zum Arzt und lassen unsere Köpfe zurücktauschen!“
Daraufhin gingen die Superschlauen mit den Blitzmerkern zum Arzt. Der sah natürlich gleich, dass die Blitzmerker ungefähr so schnell im Begreifen waren wie die Superschlauen schlau waren. Deswegen gab er allen eine Spritze zum Einschlafen und dann vertauschte er ihre Mützen.
Als sie wieder aufwachten, sagte der Arzt zu den Superschlauen: „Es ist mir gelungen, euch euere eigenen und ihnen ihre Köpfe aufzusetzen. Aber es war eine sehr schwierige Operation. Macht 10 000 Euro.“
Und zu den Blitzmerkern sagte er: „Ihr habt Glück gehabt. Wenn ihr nur zwei Stunden später gekommen wärt, hättet ihr für immer ihre Köpfe tragen müssen und sie hätten eure Köpfe behalten. Aber in einer langwierigen Operation ist es mir gelungen, euch eure Köpfe und ihnen ihre Köpfe wieder aufzusetzen. Macht 20 000 Euro.“
Aber die Blitzmerker waren glücklich und zahlten. „Endlich haben wir wieder unsere eigenen und die haben ihre Köpfe auf!“
Und so gingen alle zufrieden wieder nach Haus.

Nur die superdoofe Schwester lachte sich fast krank darüber, wie doof die Superschlauen und wie begriffsstutzig die Blitzmerker waren. Deswegen musste sie mit einem Lachanfall zum Arzt gebracht werden. Als der Arzt hörte, warum sie lachte, bekam er selbst einen Lachanfall und musste mitlachen. Da lachten die beiden, bis sie sich ausgelacht hatten, und danach war die superdoofe Schwester wieder kerngesund.

[Sprachförderung: Personalpronomina]
 
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Die Kluge Else
Johannes Merkel


Es gibt Leute, die machen sich schon in die Hosen, wenn sie sich nur vorstellen, was vielleicht unter Umständen irgendwann einmal passieren könnte. So eine war auch die kluge Else. Ihre Eltern hielten sie für tierisch klug, weil sie sich immer schon im voraus vorstellte, was vielleicht unter Umständen irgendwann einmal Furchtbares passieren könnte. Und darum nannten sie sie nur die "kluge Else". Ein junger Mann, der Hans hieß, hörte von Elses Klugheit und wollte sie gerne heiraten. Ihn nannten nämlich alle nur den "dummen Hans" und darum dachte er, dass er eine kluge Frau vielleicht gut gebrauchen könnte. Also zog er seinen Sonntagsanzug an und ging zu Elses Vater: "Wärst du vielleicht einverstanden, dass ich die kluge Else heirate?"
"Ja, wenn ihre Mutter und die Else nichts dagegen haben", meinte der Vater, "dann sollst du sie haben".
Da ging Hans zu Elses Mutter: "Wärst du vielleicht einverstanden, dass ich die kluge Else heirate?"
"Ja, wenn ihr Vater und die Else nichts dagegen haben", meinte die Mutter, "dann sollst du sie haben".
Da ging Hans zur klugen Else: "Wärst du vielleicht einverstanden, mich zu heiraten?"
"Ja wenn mein Vater und meine Mutter nichts dagegen haben, kannst du mich haben".

Sie waren sich also alle einig und darauf wollten sie einen trinken. Darum schickte der Vater die kluge Else in den Keller, um am Weinfass einen Krug Wein zu zapfen. Während der Wein aus dem Fasshahn in den Krug lief, schaute die Else an die Kellerdecke und was musste sie da sehen? Da hing doch von der Kellerdecke ein schwerer dicker Eisenhaken, um daran Vorräte aufzuhängen.
Was kriegte die kluge Else da für einen Schreck! "Achgottachgott", dachte sie, "Wenn ich den Hans heirate und wir bekommen ein Kind und ich würde das Kind in den Keller schicken, um einen Krug Wein zu holen, und während der Wein in den Krug liefe, würde sich dieser Haken aus der Mauer lösen, würde von der Decke fallen und mir mein Kind totschlagen. Nicht auszudenken! Wie furchtbar!"
Und da stand die kluge Else im Keller, jammerte und heulte um das furchtbare Unglück, das ihrem Kind zustossen könnte. Und dabei lief und lief der Wein aus dem Fasshahn in den Krug.

"Ja, wo bleibt denn nur die Else mit dem Wein?" fragte sich der Vater und schickte die Mutter in den Keller, nach der Else und dem Wein zu sehen.
Im Keller stand die kluge Else vor dem Fass, jammerte und heulte. "Ja Kind, was heulst und jammerst du denn?"
"Achgottachgott", jammerte die kluge Else. "Stell dir doch nur vor: Wenn ich den Hans heirate und wir bekömmen ein Kind und ich würde das Kind in den Keller schicken, um einen Krug Wein zu holen, und während der Wein in den Krug liefe, würde sich dieser Haken aus der Mauer lösen, würde von der Decke fallen und mir mein Kind totschlagen. Nicht auszudenken! Wie furchtbar!"
Was kriegte da die Mutter für einen Schreck! "Achgottachgott" stöhnte die Mutter und stand mit Else vor dem Fass und heulte und jammerte mit ihr um das furchtbare Unglück, das ihrem Enkelkind Kind zustossen könnte. Und der Wein lief und lief aus dem Fasshahn in den vollen Krug und aus dem vollen Krug auf den Kellerboden.

"Ja, wo bleibt denn nur die Mutter mit der Else und dem Wein?" fragte sich der Vater und ging selber in den Keller, nach der Mutter und der Else und dem Wein zu sehen.
Im Keller standen die kluge Else und die Mutter vor dem Weinfass und sie jammerten und heulten. "Ja was jammert und heult ihr denn?"
"Achgottachgott", jammerte die Mutter. "Stell dir doch nur vor: Wenn unsere Else den Hans heiratet und sie bekommen ein Kind und sie würde unser Enkelkind in den Keller schicken, um einen Krug Wein zu holen, und während der Wein in den Krug liefe, würde sich dieser Haken aus der Mauer lösen, würde von der Decke fallen und unser Enkelkind totschlagen. Nicht auszudenken! Wie furchtbar!"
"Achgottachgott", jammerte da auch der Vater um das furchtbare Unglück, das ihrem Enkelkind Kind zustossen könnte. Und sie standen alle drei vor dem Fass und heulten und jammerten, und der Wein lief und lief aus dem Fasshahn in den vollen Krug und aus dem vollen Krug auf den Kellerboden und sie standen schon bis zu den Knöcheln im Wein.

"Ja, wo nur der Vater mit der Mutter, der Else und dem Wein bleibt?" fragte sich Hans und ging schließlich selber in den Keller.
Im Keller standen die kluge Else, die Mutter und der Vater vor dem Weinfass, der ausgelaufene Wein stand ihnen schon bis zu den Schienbeinen und sie jammerten und heulten. "Ja, was jammert und heult ihr denn?"
"Achgottachgott", jammerte der Vater."Stell dir vor, wenn du die Else heiratest und ihr bekommt ein Kind und du würdest das Kind in den Keller schicken, Wein zu holen und während der Wein in den Krug liefe, würde sich dieser Haken aus der Mauer lösen, würde von der Decke fallen und dein Kind totschlagen. Nicht auszudenken! Wie furchtbar!"

Na, was glaubt ihr, machte da der dumme Hans? Er lachte und sagte: "Hättet ihr die kluge Else nicht in den Keller geschickt, um Wein zu holen, und die Kluge Else hätte den Haken an der Decke nicht gesehen und hätte den Wein gebracht und wir hätten auf unsere Hochzeit angestoßen, dann hätte ich die kluge Else geheiratet und hätte gar nicht gemerkt, dass sie viel zu klug für mich ist. Achgottachgott, nicht auszudenken! Wie furschtbar!"
Und damit ging der dumme Hans, sich eine dümmere Frau suchen. Was aber aus der klugen Else geworden ist, das weiß ich nicht. Vielleicht steht sie noch immer mit ihren Eltern im Keller, der Wein läuft noch immer aus dem Fass und sie stehen schon bis zum Kinn im Wein, heulen und jammern, wie furchtbar es wäre, wenn die Else ein Kind bekäme und cybsie schickten es in den Keller, Wein zu holen - naja, und so weiter. Nein, nicht auszudenken! Wie furchtbar!



(Frei nach dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm)

[Sprachförderung: Konditional]
 
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Konditional


Die Steinsuppe
Johannes Merkel

Es war einmal ein alter Mann, der hatte kein Haus zum Schlafen und kein Geld, sich Essen zu kaufen. Er wanderte über die Landstrassen, und wenn er in ein Dorf kam, fragte er die Bewohner, ob sie nicht einen Bissen für ihn übrig hätten und ob er nicht in einer alten Scheune übernachten dürfe.

Eines Tages hatte sich der alte Mann in einem Wald verlaufen, er irrte drei Tage und drei Nächte durch den Wald, bis er endlich wieder herausfand und in ein Dorf kam. Was war der alte Mann da hungrig und müde!
Er klopfte am ersten Haus und geriet an eine Frau: "Sie wünschen?"
"Ich bin drei Tage durch den Wald geirrt. Haben Sie vielleicht einen Bissen für mich übrig und ein Plätzchen zum Schlafen?"
"Da könnte ja jeder kommen!" schimpfte die Frau und warf die Tür zu.
Der alte Mann ging weiter und kam zu einem Gemüseladen. Im Laden fragte er den Händler: "Ich bin drei Tage durch den Wald geirrt. Haben Sie vielleicht einen Bissen für mich übrig und ein Plätzchen zum Schlafen?"
"Klar, kannst du haben," meinte der Händler. "Aber nur gegen Bares."
Und als der alte Mann nur den Kopf schüttelte, lachte er: "Umsonst ist nur der Tod!" und jagte ihn vor die Tür.
Der alte Mann ging weiter und kam zu einem Fleischerladen: "Ich bin drei Tage durch den Wald geirrt. Haben Sie vielleicht einen Bissen für mich übrig und ein Plätzchen zum Schlafen?"
Der Fleischer betrachtete ihn von oben bis unten. "Kannst du auch bezahlen?"
Und als der alte Mann nur den Kopf schüttelte, fauchte er: "Anständigen Leuten auf der Tasche liegen! Das könnte dir so passen, Schmarotzer!" und jagte ihn vor die Tür.

"Du musst dir was anderes einfallen lassen," sagte sich der alte Mann. "Die Leute lassen dich glatt verhungern."
Im Weitergehen fand er neben der Straße einen alten verbeulten Topf. Er nahm den Topf, sammelte Brennholz und schichtete es mitten auf dem Dorfplatz auf, wo ihn alle sehen konnten. Dann füllte er den Topf am Dorfbrunnen mit Wasser, zündete das Brennholz an und setzte den Topf aufs Feuer.
Das Feuer lockte die Dorfkinder an. Sie standen um den alten Mann herum und schauten ihm zu. Nach und nach kamen auch die Erwachsenen aus den Häusern und beobachteten, was der komische Alte da auf dem Dorfplatz trieb.
Als das Wasser im Topf zu kochen begann, nahm der Alte einen Stein, warf ihn in das heiße Wasser und rührte es dann aufmerksam mit einem Stock um. Die Leute beobachteten ihn stumm, aber keiner wagte ihn zu fragen. Bis es plötzlich ein Junge nicht mehr aushielt und herausplatzte: "Was machst du denn da?"
Da schaute der alte Mann auf und sagte: "Ich koche eine Steinsuppe."
Darauf holte er einen Löffel aus der Tasche, probierte die Suppe und sagte: "Nicht schlecht! Sie schmeckt schon köstlich! Sie würde noch köstlicher schmecken, wenn ich einige Kartoffeln zugeben könnte."
Da rannten auch schon zwei Kinder auf das nächste Kartoffelfeld, gruben eine Hand voll Kartoffeln aus und brachten sie ihm. Der alte Mann wusch die Kartoffeln und gab sie in den Topf.
Wieder kostete er nach einer Weile. "Großartig! Sie schmeckt schon großartig", stellte er fest und schnalzte mit der Zunge. "Sie würde abr noch großartiger schmecken, wenn ich sie mit einem Bund Karotten verbessern könnte."
Da lief auch schon das Mädchen des Gemüsehändlers und brachte dem Alten aus dem Laden einen Bund Karotten. Der alte Mann gab die Karotten in den Topf, ließ sie eine Weile kochen, dann probierte er die Suppe wieder.
"Göttlich!" stellte der alte Mann fest. "Sie würde aber noch göttlicher schmecken, wenn ich sie mit einem Stück Rindfleisch abrunden könnte."
Da lief auch schon der Junge des Fleischers los und holte ein gutes Stück Rindfleisch. Und auch das Rindfleisch wanderte in den Topf.
Was glaubt ihr wohl, was die Kinder dem alten Mann schließlich noch alles brachten, um die Suppe zu verbessern?

Schließlich kostete der Alte wieder von der Suppe und bemerkte: "Deliziös! Noch nie habe eine bessere Suppe gekostet!" Er fragte die Kinder, ob sie auch davon kosten wollten. Das wollten sie natürlich alle. Sie holten sich Teller und Löffel, saßen um den alten Bettler herum und löffelten die Steinsuppe und es ging ihnen wie dem alten Mann: Noch nie hatte ihnen eine Suppe besser geschmeckt.
Und als sie alle gegessen hatten, streckte sich der Bettler vor dem Feuer aus und meinte: "Ach, wenn ich jetzt einen Platz im Heu hätte, um mich auszuschlafen!" Da boten ihm alle Kinder einen Platz in ihrer Scheune an. Und weil er doch nicht bei allen gleichzeitig schlafen konnte, blieb er noch so lange, bis er in jedem Haus eine Nacht geschlafen hatte.
Zuletzt übernachtete er auch in dem Haus, in dem er bei seiner Ankunft abgewiesen wurde. Am nächsten Morgen fragte ihn die Frau, wie er es geschafft hatte, aus einem Stein eine so unübertreffliche Suppe zu kochen.
"Ich benutze einen Suppenstein," erklärte ihr der alte Mann. "Je länger man sie damit kocht, desto köstlicher gerät die Suppe." Er schenkte ihr den Suppenstein und ging seines Weges.

Am nächsten Tag lud die Frau alle ihre Verwandten und Bekannten zum Essen ein. Schon früh am Morgen heizte sie den Herd, damit die Suppe möglichst lange kochen konnte und noch köstlicher geraten würde als bei dem Bettler. Als die ersten Gäste kamen, probierte sie die Suppe. Aber sie schmeckte wässerig und alles andere als köstlich.
Da erklärte die Frau ihren Gästen, dass die Suppe leider noch etwas brauchen würde, bis der Stein seinen großartigen Geschmack abgegeben hätte. Nach drei Stunden probierte sie die Suppe wieder. Sie schmeckte leider noch immer wässerig und alles andere als großartig. Nun erklärte sie ihren Gästen, dass die Suppe wohl noch bis zum Abend kochen müsse, dann aber sicher göttlich schmecken würde. Aber auch am Abend schmeckte die Suppe wässerig und alles andere als göttlich. Da gingen die Gäste hungrig und wütend weg.
"Seltsam! Seltsam!" wunderte sich die Frau. "Ich habe doch alles genauso gemacht, wie es der Bettler gesagt hat."

[Sprachförderung: Konditional]
 
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Konditional


Die Amsel auf der Mauer
Johannes Merkel

Es war einmal eine Amsel, die saß auf einer Mauer und sang fröhlich vor sich hin. Das hörte eine Katze, schlich sich ganz ganz leise an und sprang mit einem Satz auf die Mauer, um den Vogel zu fangen. Aber die Amsel wollte sich nicht fangen lassen. Sie hatte die Katze im letzten Moment gesehen und war aufgeflogen. Da konnte die Katze den Vogel nicht mehr erwischen. Aber sie flatterte mit den Flügeln und piepte laut vor Angst.
Das hörte ein Hund und fragte sie: „Warum flatterst du denn mit den Flügeln und piepst so ängstlich?“
„Weil die Katze herumschleicht und mich fangen will,“ piepste die Amsel.
„Was fällt dieser frechen Katze ein!“ bellte der Hund. „Na warte! Sie kommt sich groß und stark vor. Aber ich bin größer und stärker als diese Katze. Der werde ich es zeigen!“
Damit sprang der Hund auf die Mauer, um die Katze zu beißen.

Die Katze aber wollte sich nicht beißen lassen. Sie sah den Hund auf die Mauer springen und kletterte schnell auf einen Baum. Wütend sprang der Hund an dem Baumstamm hoch und bellte, aber er konnte die Katze nicht mehr erwischen. Die Katze aber hockte ganz oben auf einem Ast und miaute jämmerlich.
Da kam eine Ziege unter dem Baum vorbeigelaufen und fragte: „Was miaust du denn so jämmerlich?“
„Weil der Hund am Baumstamm hochspringt und mich beißen will.“
„Was fällt diesem dreisten Köter ein?“ schimpfte die Ziege. „Na warte! Er kommt sich groß und stark vor. Aber ich bin größer und stärker als dieser Hund. Dem werde ich es zeigen!“
Die Ziege rannte auf den Hund los um ihn mit den Hörnern zu stoßen. Aber der Hund wollte sich nicht stoßen lassen. Er sah, wie die Ziege auf ihn los rannte und kroch schnell unter einen Leiterwagen, wo ihn die Ziege nicht mehr treffen konnte. Die Ziege krachte mit den Hörnern gegen den Leiterwagen. Aber der Hund fürchtete, dass der Leiterwagen zerbrechen würde, und jaulte herzzerreißend.

Da kam eine Kuh vorbei getrottet, die hörte den Hund jaulen und fragte: „Warum jaulst du denn so herzzerreißend?“
„Weil die Ziege mich mit den Hörnern stoßen will,“ jammerte der Hund.
„Was fällt der stinkigen Ziege ein!“ schimpfte die Kuh. „Na warte! Sie kommt sich groß und stark vor. Aber ich bin größer und stärker als diese Ziege. Der werde ich es zeigen!“
Da scharrte die Kuh mit den Hufen und rannte auf die Ziege los, um sie über den Haufen zu rennen.

Die Ziege aber wollte sich nicht über den Haufen rennen lassen und rettete sich in den engen Ziegenstall. Die Kuh aber war zu dick, um durch die Tür in den Ziegenstall zu passen. Sie stand vor dem Ziegenstall und wartete, dass die Ziege wieder aus dem Stall rauskommt. Die Ziege kam aber nicht aus dem Stall raus, sondern blieb drinnen und meckerte erbärmlich.
Da kam ein Pferd vorbei, das hörte die Ziege meckern und fragte: „Was meckerst du denn so erbärmlich?“
„Weil die Kuh vor der Tür wartet um mich über den Haufen zu rennen,“ meckerte die Ziege.
„Was fällt der aufgeblasenen Kuh bloß ein!“ wieherte das Pferd. „Na warte! Sie kommt sich groß und stark vor. Aber ich bin größer und stärker als diese Kuh. Der werde ich es zeigen!“
Das Pferd stellte sich vor die Kuh um sie gegen die Stirn zu treten. Aber die Kuh wollte sich nicht gegen die Stirn treten lassen, rannte über die Weide davon und muhte verzweifelt.

Da kam eine Stechmücke vorbeigeflogen und fragte die Kuh: „Was muhst du denn so verzweifelt?“
„Weil das Pferd mir gegen die Stirn treten will.“
„Was fällt dem eingebildeten Pferd bloß ein!“ fiepte die Stechmücke. „Na warte! Es kommt sich groß und stark vor. Ich bin viel kleiner und schwächer als dieses Pferd. Aber dem werde ich es zeigen!“
Das hörte das Pferd und wieherte. „Dass ich nicht lache! Was kannst du winziger Mückenschiss mir schon zeigen?“
„Das wirst du gleich sehen!“ meinte die Stechmücke. Und damit flog sie zum Pferd, hockte sich auf sein Hinterteil und stach, was sie stechen konnte. Davon wurde das Pferd ganz verrückt, rannte wie wild über die Weide davon und schlug mit dem Schwanz nach der Stechmücke um sie zu vertreiben.
„Das hast du davon!“ lachte die Stechmücke. „Vielleicht merkst du jetzt, was dir so ein winziger Mückenschiss zeigen kann!“

[Sprachförderung: Konditional]
 
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Verneinung

Frau Nein
Johannes Merkel


Eigentlich hieß Frau Nein gar nicht Nein, aber in der Nachbarschaft kannten sie alle nur unter diesem Spitznamen und ich könnte euch auch nicht sagen, wie sie sich mit ihrem Familiennamen nannte. Aber ich kann euch sagen, wie sie zu diesem Spitznamen kam.

Im Grunde war Frau Nein eine ganz normale Frau. Sie hatte nur einen kleinen Fehler: Sie konnte einfach nicht nein sagen.
Und deswegen passierten ihr immer wieder Sachen wie diese: Sie wollte nur kurz im Kaufhaus vorbeischauen, um ein Paar Socken zu kaufen. Steht da am Eingang ein Ausrufer: "Aufgepasst, meine Damen und Herren! Greifen Sie zu! Wir bieten eine sensationelle Neuentwicklung zu einem Schleuderpreis: Den vollautomatischen Nasenputzer!"
Frau Nein will sich vorbeidrücken, um rasch zum Sockenstand zu kommen. Leider war sie verschnupft und zog gerade ein Taschentuch heraus, um sich zu schnäuzen. Da hat sie den Ausrufer schon am Hals. "Na ich sehe, Sie brauchen dringend dieses phantastische Gerät." Aber weil sie nichts ablehnen kann, bleibt sie unschlüssig stehen, und schon hat sie der Ausrufer am Wickel. "Beachten Sie, wie einfach es funktioniert! Sie befestigen das Gerät ganz bequem mit dem Haltegurt vor der Nase, und schon beim geringsten Schniefer fahren ihnen zwei Bürsten in die Nasenlöcher und fegen sie sauber. Kein Taschentücher mehr, kein lästiges Schnäuzen! Und das zum Schleuderpreis von 345 Euro! Das können sie doch nicht ablehnen!"
Eigentlich denkt sie: Mann, lass mich in Frieden mit deinem Schrott! Aber was antwortet Frau Nein? "Jaja, aber gerne!" Und schon trägt sie so einen Kasten vor der Nase und ist 345 Euro los.
So oder so ähnlich ging das Frau Nein überall: Sie wollte mal eben nur eine Kleinigkeit besorgen und zurück kam sie mit einer vollgestopften Einkaufstasche. Kein Wunder, dass ihr Geldbeutel ständig leer war und es ihr am Geld fehlte, um ihre vielen Kinder zu ernähren.

Sie hatte nämlich 19 Kinder. Und jedes ihrer Kinder hatte einen anderen Vater. Und ahnt ihr, warum? Frau Nein konnte auch zu einem Mann nicht nein sagen. Ob sie ihn leiden konnte oder nicht, wenn irgendein Schnösel sie anlächelte und ihr zuflüsterte: "Sie sind die Frau meiner Träume! Wollen Sie meine Liebste sein?" dann dachte sie vieleicht: Auf dich habe ich gerade noch gewartet!. Aber was sagte sie stattdessen? "Jaja, aber gerne!" Davon hatte sie die vielen Kinder.
Und wenn ihr die Väter mitteilten, dass sie grade ganz klamm bei Kasse seien und ihr leider keinen Unterhalt für die Kinder zahlen könnten, und dass sie das doch wohl verstehen wird, dann dachte Frau Nein: Was geht das mich an! Schau zu, wie du deine Verpflichtungen erfüllst! Aber was sagte sie: "Jaja, aber gerne!"

So konnte es doch nicht weitergehen! Frau Nein ließ sich jeden Schrott andrehen, die Väter zahlten immer weniger Unterhalt und sie konnte ihre Kinder nicht ernähren. Darum ging Frau Nein zum Arzt und fragte, ob er ihr nicht dieses ständige "Jaja, aber gerbe!" rausoperieren könne. "Das schon," sagte der Arzt. "Aber was soll ich Ihnen stattdessen einsetzen?"
"Ein lautes und unerbittliches, na Sie wissen schon, das, was ich nie rausbringe".
Da operierte ihr der Arzt das nette "Jaja, aber gerne!" raus und setzte ihr ein unerbittliches "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!" ein.

Aber es war gar nicht so einfach mit einem unerbittlichen "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!" zu leben. Schon auf dem Heimweg nach der Operation kam sie damit ins Schleudern. Sie war von der Narkose noch etwas betäubt und übersah eine Baugrube, die man erst am Morgen aufgerissen hatte. Sie ging durch die Absperrung und fiel in die Grube. Es war schon Abend und die Bauarbeiter waren nach Haus gegangen.
Am Grund der Grube stand zu allem Überfluss auch noch Wasser. Frau Nein rief um Hilfe. Tatsächlich liefen gleich einige Leute zusammen, schauten in das Loch und sagten der Verunglückten: "Warten Sie nur, wir holen Sie hier gleich raus!"
Und was antwortete ihnen Frau Nein? Ein lautes und unerbittliches "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!" Da schüttelten die Leute die Köpfe und gingen weiter. Sie würde heute noch in der Grube sitzen, wenn nicht einer die Polizei angerufen hätte. Die kamen mit Blaulicht und schauten in die Grube. Als sie ihr durchgaben, sie würden sie gleich rausholen, was schrie ihnen da Frau Nein entgegen? Ein lautes und unerbittliches "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!"
Ein Glück, dass ein Polizist dann verwundert zurückfragte: "Ja, wollen Sie vielleicht in diesem Loch übernachten?"
Da konnte die arme Frau ihr unerbittliches "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!" loslassen und die Beamten zogen sie aus der Baugrube raus.

Auch mit dem Einkaufen war das nicht so einfach, wie sie sich das erhofft hatte. Wenn ihr wieder so ein Ausschreier eine sensationelle Neuentwicklung andrehen wollte, dann konnte sie ihm zwar ein entschiedenes "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!" entgegenschleudern. Aber was sollte sie machen, wenn der nachhakte: "Ja, wollen Sie sich denn wirklich diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen?" Da musste sie wieder entschieden "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!" antworten, und schon hatte sie wieder ein überflüssiges Teil in der Tasche und war um einen satten Betrag ärmer.

Und selbst mit den Männern hatte sie sich das doch irgendwie anders vorgestellt. Zwar schaffte sie es spielend, sich Männer vom Leib zu halten, die sie anmachten. Die hörten von ihr nur ein unerbittliches "Nein,nein, kommt nicht in die Tüte!" und wenn es nötig war, hörten sie es so lange, bis sie Leine zogen.
Aber dann traf sie einen wirklich charmanten Herrn, den sie auf Anhieb mochte. Und er sagte ihr auch noch: "Ich finde Sie ganz bezaubernd und würde Sie gerne wiedersehen." Was musste er da hören? "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!"

So konnte es doch auch nicht weitergehen! Frau Nein ging wieder zum Arzt und sagte: "Operieren Sie mir auf der Stelle dieses laute und unerbittliche ‚Nein, nein' wieder raus!"
"Ja, was soll ich Ihnen denn dafür einsetzen?" fragte der Arzt.
"Gar nichts!" antwortete Frau Nein.
"Auf Ihre Verantwortung," meinte der Arzt und entfernte das laute unerbittliche "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!"

Und was passierte, als Frau Nein doch weder Jaja noch Nein, nein mehr sagen musste?
Ganz einfach: Wenn sie gefragt wurde, antwortete sie: "Muss ich erst mal sehen". Wenn sie einverstanden war, meinte sie: "Warum denn nicht?", "Na klar doch!" Und wenn sie keine Lust darauf hatte, antwortete sie spitz: "Ich denke nicht im Traum dran!" oder wenn es sein musste , sagte sie auch schon mal "Kommt mir nicht in die Tüte!"
Weil von jetzt an immer so antwortete, wie ihr grade zumute war, macht es eigentlich keinen Sinn mehr, sie Frau Nein zu nennen. Aber die Leute sind eben seit der Zeit daran gewöhnt, als sie immer nur mit "Nein, nein, kommt nicht in die Tüte!" antwortete und kennt man sie in unserem Viertel noch immer als Frau Nein. xp

[Sprachförderung: Verneinung]
 
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Komparation

Der heiratswillige Specht

Julia Klein


Es war einmal ein Specht, der wollte heiraten. Aber nicht irgendjemanden, nein, er wollte nur die Größte und Stärkste heiraten.
So flog er zur Sonne und sagte: „Sonne, du bist die Größte und Stärkste, willst du mich heiraten?“
Die Sonne musste lachen, als sie den kleinen Specht herumflattern sah und sie sagte: „Ich bin groß und stark, aber ich kenne jemanden, der ist größer und stärker als ich.“
„Wer ist das?“, fragte der Specht.
„Das ist die Wolke. Sie schiebt sich einfach vor mich und ich bin nicht mehr zu sehen.“

Da flog der Specht zur Wolke und sagte: „Wolke, du bist die Größte und Stärkste, willst du mich heiraten?“
Die Wolke antwortete dem Specht: „Ich bin groß und stark, aber ich kenne jemanden, der ist größer und stärker als ich.“
„Wer ist das?“, fragte der Specht.
„Das ist der Wind, der pustet mich einfach davon.“

Da flog der Specht zum Wind und sagte: „Wind, du bist der Größte und Stärkste, willst du mich heiraten?“
Der Wind pustete dem Specht zu: „Ich bin groß und stark, aber ich kenne jemanden, der ist größer und stärker als ich.“
„Wer ist das?“, fragte der Specht.
„Das ist der Baum, den kann ich nicht umblasen.“

Da flog der Specht zum Baum und sagte: „Baum, du bist der Größte und Stärkste, willst du mich heiraten?“
Der Baum knarrte dem Specht zu: „Ich bin groß und stark, aber ich kenne jemanden, der ist größer und stärker als ich.“
„Wer ist das?“, fragte der Specht.
„Das ist die Spechtin, die hämmert mit ihrem Schnabel Löcher in mich hinein und eines Tages falle ich noch um.“

Da flog der Specht zur Spechtin und sagte: „Spechtin, du bist die Größte und Stärkste, willst du mich heiraten?“
Und was glaubt ihr was die Spechtin antwortete? Sie sagte ja und die beiden heirateten noch am gleichen Tag.

(Nach einem häufigen Märchenmotiv)

[Sprachförderung: Komparativ]

 
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Imperativ

Die Geschichte vom herrenlosen Koffer
Johannes Merkel


1.
Ralph saß auf seinem Balkon und blätterte lustlos in einem Schulbuch. Er hatte überhaupt keinen Nerv, diese Hausaufgabe zu machen. Er stöhnte, blickte auf und ließ seinen Blick über die Umgebung gleiten: die Häuserzeile schräg gegenüber, daneben der Platz vor dem Bankgebäude und die Grünanlage, die diesen Platz abschloss. Sein Blick blieb an einem Koffer hängen, der mitten auf dem weiten Platz vor der Bank stand. Der Platz war menschenleer und es war niemand zu sehen, dem dieser Koffer gehören könnte.
Ralph blätterte wieder in seinem Buch, aber er kam dabei nicht weit. Er musste an den herrenlosen Koffer denken. Ob den Koffer jemand hingestellt hatte, um ihn loszuwerden? Als Ralph wieder nach ihm sah, stand der Koffer nicht mehr am gleichen Platz. Er war aber auch nicht abgeholt worden, noch immer stand er einsam und herrenlos herum, aber nun nicht mehr vor der Bankfiliale, sondern 20 Schritt weiter am Rand der Grünanlage.
Noch einmal versuchte er sich auf seine Hausaufgabe zu konzentrieren. Es ging einfach nicht! Genervt blickte er wieder über den Platz: Der Koffer stand nun auch nicht am Rand vor der Grünanlage, sondern auf einem Parkweg, der durch die Anlage führte.

Ralph schlug sein Buch zu und lief auf die Straße. Der herrenlose Koffer war schon wieder weiter gerückt. Jetzt befand er sich schon mitten in der Anlage. Er ließ ihn nicht mehr aus den Augen und dabei glaubte er zu bemerkten, dass der seltsame Koffer im Schneckentempo vorwärts kroch. Als Ralph in den Fußweg einbog und ihn überholte, blieb der Koffer stehen.
Ralph ging um den seltsamen Koffer herum und betrachtete ihn von allen Seiten. Es war ein abgenutzter billiger Koffer, aus hellbraunem Kunstleder, größer als ein Aktenkoffer, aber für einen Reisekoffer viel zu klein. Neben dem Tragegriff saßen zwei vom Gebrauch stumpf gewordene Schnallen, die Ecken des Koffer sollten Verstärkungen schützen, die aber schon halb abfgerissen und brüchig waren, und an manchen Stellen war das Kunstleder aufgeplatzt, zeigte Risse und regelrechte Löcher.
"Was für ein hässliches Stück!" dachte Ralph. Aber wie schaffte es dieses vergammelte Köfferchen sich fortzubewegen? Er ging in die Knie und versuchte unter den Koffer zu blicken. Da fauchte plötzlich eine Stimme: "Steh auf! Und verpiss dich!" Erschrocken sprang er wieder auf und blickte sich um: Er stand mit dem Koffer allein auf dem Parkweg. Am anderen Ende der Anlage saß ein junger Mann mit einem Handy am Ohr. Sonst war niemand zu sehen, der ihn angesprochen haben könnte. Eingeschüchtert setzte er sich auf eine Parkbank und beobachtete den herrenlosen Koffer, der jetzt still auf seinem Platz verharrte.

Von weitem sah er seinen Freund Georg über den Platz vor der Bank schlendern. "Pssst" machte Ralph und winkte ihn heran.
"Was gibt's?" fragte Georg.
"Der Koffer da, der kann reden", flüsterte Ralph.
"Mach mich nicht an!" lachte Georg, beugte sich über den Koffer und sagte: "Hey Alter, sag mal was!"
"Schrei nicht so!" kam es zurück. "Meinst du, ich bin taub?"
"Na bitte! Was hab ich gesagt?" meldete sich Ralph. "Und laufen kann er auch."
Aber Georg hörte nicht auf ihn, weil ihn der Koffer anredete: "Junge, tust du mir einen Gefallen?"
"Kommt drauf an."
"Nur eine klitzekleine Kleinigkeit! Trag mich doch bitte da oben über die Stufen bis vor die U-Bahn-Station!"
"Was willst du denn dort?"
"Na was schon? U-Bahnfahren natürlich."
"Wenn du meinst," lachte Georg, zwinkerte Ralph zu und trug den Koffer über die Stufen am Ende der Grünanlage bis vor die U-Bahn-Station.
Ralph kam hinter ihm her: "Ist er schwer?"
"Geht so."
Vor der Treppe, die zur U-Bahn runterführte, tönte es aus dem Koffer: "Danke, mein Lieber! Stell mich hier ab! Und merk dir, du hast nichts gehört und nichts gesehen!"
"So schaust du aus!" meinte Georg, setzte den Koffer ab und beugte sich gleich über ihn, um die Schnallen zu öffnen.
Da kreischte die Stimme aus dem Koffer: "Hilfe! Die Kerle vergreifen sich an meinem Koffer!"
Gerade hatte eine U-Bahn gehalten, aus dem U-Bahn-Schacht kamen jetzt eine Reihe Fahrgäste hoch. Einige hörten die Schreie und blickten sich nach den Jungen um. Am Geländer des U-Bahn-Schachtes lehnte ein Stadtstreicher. Es sah aus, als wollten die Jugendlichen dem Stadtstreicher den Koffer mopsen. Zwei ältere Herren gingen auf die Jungen zu und drohten: "Finger weg! Oder es kracht."
Da bekamen es die Jungen mit der Angst zu tun bekamen und liefen weg.
Der Stadtstreicher durchschaute die Situation, bedankte sich artig bei den Herren und ging auf den Koffer zu.


2.
Das Köfferchen war abgenutzt und schäbig. Ob es sich lohnte, das abgerissene Köfferchen mitzunehmen? Aber erst mal sehen, was drinnen steckt! Er beugte sich darüber und legte die Finger auf die Schnallen, da hörte er eine Stimme füstern: "Nimm mich mit!" Er drehte sich überrascht um, sah aber niemand. Er blickte über den Gehsteig, dann die Treppe hinunter und stellte fest, dass er mit dem Koffer allein war. Als die Stimme mit einem verführerischen Tonfall wiederholte: "Nimm mich doch mit!" beugte er sich über den Koffer und legte ein Ohr auf das Kunstleder. Die Stimme kam aus dem Koffer: "Nimm mich mit! Nimm mich doch bitte mit!"
Na gut, warum nicht? Er blickte sich noch einmal nach allen Seiten um, griff dann den Koffer und lief rasch die Treppe zur U-Bahn-Station hinunter. Auf dem Bahnsteig blickte er zurück, ob ihm jemand folgte. Niemand interessierte sich für ihn. Er nahm die nächste Bahn, setzte sich auf einen freien Platz und stellte den Koffer unter den Sitz.
Einige Stationen weiter stand er auf, griff nach dem Koffer und machte drei Schritte auf die Tür zu. "Lass die Finger von meinem Koffer!" gellte die Stimme aus dem Koffer, die sich nun gar nicht mehr verführerisch anhörte. Der Stadtstreicher ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Er wartete, den Koffer fest in der Hand, dass sich die Tür öffnete. Da fauchte die Stimme: "Er hat meinen Koffer geklaut. Nehmt ihm den Koffer ab!"
Zwei junge Männer, die an der Tür standen, hielten den Stadtstreicher am Arm fest: "Du lässt den Koffer hier! Verstanden?"
Dem Stadtstreicher wurde es mulmig, er ließ den Koffer fallen, riss sich los und verschwand durch die Tür.
3.
"Wem gehört der Koffer hier?" fragte einer der jungen Männer, als sich die Türen schlossen. Niemand meldete sich.
"Wenn ihn niemand haben will, bringen wir ihn aufs Fundamt", meinte sein Freund und nahm den Koffer zwischen die Füße.
"Ihr bringt meinen Koffer nicht aufs Fundamt!"
Die beiden blickten sich an. "Das hörte sich an, als käme es aus dem Koffer."
"Das werden wir gleich haben," antwortete sein Freund, beugte sich über den Koffer und legte die Finger auf die Schnallen. Noch bevor er drücken konnte, hörten sie ein feines Zischen und von ihren Füßen stieg ein bestialischer Gestank auf, der ihnen schier den Atem nahm.
"Nicht zum Aushalten!" stöhnte der junge Mann, der den Koffer zwischen den Füßen hatte, und hielt sich die Nase zu. Er trat gegen den Koffer, der in den Gang bis in die Mitte des Waggons schlitterte.
Dort suchten jetzt Fahrgäste nach Taschentüchern und pressten sie gegen ihre Nasen, ein Kind begann zu weinen, eine Frau schrie auf: "Hilfe! Ich ersticke!" Andere sprangen auf und drängten durch die Verbindungstür ins Nachbartabteil. Die Bahn fuhr gerade wieder in eine Station ein, die Fahrgäste drängten zur Tür und retteten sich auf den Bahnsteig.
Inzwischen hatte sich der Gestank durch die offene Verbindungstür auch ins Nachbarabteil verbreitet, und als die Bahn anfuhr, zogen dort Fahrgäste die Notbremse. Der Zug kam wieder zum Stehen, die Türen gingen auf und auch die Fahrgäste des Nachbarabteils drängten auf den Bahnsteig.
"Achtung!" kam es kurz darauf aus dem Lautsprecher. "Wegen einer betriebsbedingten Störung wird der Zug angehalten. Wir bitten alle Fahrgäste auszusteigen".
Nun verließen auch die Fahrgäste der übrigen Waggons den Zug.
"Aus Sicherheitsgründen ist die Station unverzüglich zu verlassen", tönte es wieder aus dem Lautsprecher. In der allgemeinen Aufregung bemerkte niemand, dass sich auch der herrenlose Koffer in Bewegung gesetzt hatte und zwischen den Fahrgästen über den Bahnsteig rollte. Am Ende des Bahnsteigs blieb er vor der Treppe stehen. Eine junge Frau kam mit einem Kind an der Hand vorbei. Eine brüchige Stimme fragte sie: "Ach bitte, können Sie mir nicht meinen Koffer die Treppe hochtragen?"
Die Frau fasste, ohne sich umzusehen. mit der freien Hand nach dem Koffer und stieg damit die Treppe hoch. Als sie oben auf die Strasse trat, meinte die Stimme neben ihr: "Tausend Dank auch, aber nun kann ich den Koffer wieder selbst tragen." Verwundert blickte die Frau auf den Koffer, stellte ihn ab und verschwand mit dem Kind an der Hand.

Als sich die Fahrgäste verlaufen hatten, blieb nur der Koffer auf dem Gehsteig zurück. Der bestialische Gestank, den er verbreitet hatte, war verflogen und nichts deutete darauf hin, dass er etwas Anderes sein könnte als ein abgenutzter hässlicher alter Koffer.

4.
Auch als kurz darauf ein Mannschaftswagen mit Blaulicht angefahren kam, quietschend bremste und die Beamten in die U-Bahn-Station hinunterliefen, beachtete keiner den herrenlosen Koffer. Der Angestellte der Verkehrsgesellschaft, der gleich darauf die Treppe hoch kam, das Eingangsgitter schloss und dort einen Zettel anbrachte: "Vorübergehend geschlossen!", warf wohl einen Blick auf den Koffer, aber ging dann weiter, um auch den Zugang auf der anderen Strassenseite zu schließen.
Erst einem Mädchen, das auf Rollerskates über den Gehsteig flitzte, kam der herrenlose Koffer in die Quere. Es bemerkte ihn zu spät, fiel über ihn und stürzte auf das Pflaster.
"Blöder Koffer!" schimpfte sie und rappelte sich auf. "Warum musst du gerade hier herumstehen?" Und damit trat sie noch einmal wütend gegen den alten Koffer.
"Selber blöd!" kam es aus dem Koffer. "Mach doch die Augen auf! Siehst du nicht, dass ich hier auf ein Taxi warte?"
"Uih, du kannst ja reden", wunderte sich das Mädchen.
"Na und?" machte der Koffer. "Wie heißt du denn?"
"Angelika."
"Ein schöner Name!" meinte der Koffer. "Angelika, kannst du mir einen Gefallen tun? Winke mir doch bitte ein Taxi heran!"
"Ausnahmsweise", lachte das Mädchen, "weil du so schön reden kannst."
Sie stellte sich an die Fahrbahn und kurz darauf hielt ein Taxi vor dem Gehsteig.
"Da ist ein Koffer, der braucht ein Taxi", erklärte sie dem Fahrer.
"Wie bitte? Ein Koffer?"
"Der kann reden. Der sagt Ihnen schon, wo er hin will." Und dann rief sie zum Koffer hin: "Das Taxi ist da." Da kam der Koffer auch schon angerollt und flötete fröhlich: "Hallo! Bitte heben Sie mich in den Kofferraum!"
"Zahlst du für den Koffer?" fragte der Taxifahrer.
"Ich? Wieso ich? Was hab ich damit zu tun?" fragte das Mädchen zurück.
"Beruhigen Sie sich!" kam es aus dem Koffer. "Sie kriegen Ihr Fahrgeld."
Aber der Taxifahrer ließ sich darauf nicht ein: "Nee, nee, Freundchen. Ohne Vorauszahlung läuft da nichts."
"Regen Sie sich ab, Mann! Rufen Sie die Nummer 694 827 und geben Sie durch, dass Sie mich vorbeibringen!"
Kaum hatte der Fahrer die Nummer gewählt und etwas von einem Koffer verlauten lassen, da gellte ihm die Stimme einer Frau ins Ohr: "Wahsninn! Er hat es geschafft! Er hat es tatsächlich geschafft!"
Dem Taxifahrer war es schnuppe, wer was geschafft hatte. Er fragte, ob sie für die Fahrtkosten aufkommt. "Na selbstverständlich! Kommen Sie so schnell wie möglich vorbei!"
Der Fahrer bekam eine Adresse, packte den Koffer in den Kofferraum und fuhr los.

5.
Die Adresse führte ihn in eine sehr noble Gegend vor die Einfahrt einer Luxusvilla. Er läutete und hörte durch die Sprechanlage: "Bringen Sie den Koffer? Bitte fahren Sie bis zur Haustür vor!"
Das Eingangstor rollte beiseite und der Taxifahrer fuhr bis zum Portal der Villa. Dort stand schon eine ältere Frau und nahm ihm den Koffer aus der Hand. Er bekam das Fahrgeld und ein sattes Trinkgeld dazu. Als er schon dabei war, wieder ins Auto zu steigen, drehte sich der Taxifahrer noch einmal um und meinte: "Wissen Sie, es geht mich ja nichts an, aber einen sprechenden Koffer befördert man nicht alle Tage. Irgendwie kribbelt es bei mir und ich würde gar zu gerne wissen, was es mit dem Koffer auf sich hat."
"Auf die Frage habe ich gewartet. Na, kommen Sie kurz rein! Hier außen ist es mir zu kalt", lachte die Frau.

Sie betraten die weite Eingangshalle, die mit dicken Teppichen ausgelegt war, und dort erklärte ihm die Frau: "Wissen Sie, das ist schon eine seltsame Geschichte! Ich habe einen Neffen, der mich seit Jahren damit ärgert, dass er partout mit diesem abgeschabten potthässlichen Köfferchen herumlaufen muss. Ich weiß nicht, wie oft ich ihm schon gesagt habe: 'Schaff dir endlich einen neuen Koffer an!' Aber das nächste Mal kam er mir wieder mit diesem Drecksteil. Da ist mir neulich der Kragen geplatzt: 'Wenn du mir noch einmal mit diesem Miststück ins Haus kommst, fliegst du postwendend wieder raus!' Und was meint der Bengel darauf: 'Dann kommt der Koffer eben allein'. Ich musste lachen und sagte: 'Gut. Wenn du es schaffst, dass dein Koffer den ganzen Weg ohne dich hierher kommt, kriegst du von mir 5000 bar auf die Hand.' Es war so eine Art Wette. Aber ich hab doch nicht im Ernst geglaubt, dass er das macht. Sehen Sie, er hat es tatsächlich geschafft."

In diesem Augenblick läutete die Klingel. Die Frau drückte auf die Sprechanlage. Eine jugendliche Stimme fragte: "Hallo, liebe Tante, darf ich reinkommen? Ich komme heute auch ohne mein Köfferchen."
"Mein lieber Neffe, das war heute schneller als du. Komm rein!"
Kurz darauf kam ein junger Mann durch die Tür. Er war offensichtlich über den Fahrweg gerannt, denn er atmete heftig.
"So, und jetzt erklärst du mir, wie du dieses Scheusal durch die Stadt bugsiert hast."
"Das war leider gar nicht so einfach." Der junge Mann fuhr eine Antenne aus und drückte auf die Knöpfchen und Drehräder der Geräts. Der Koffer rollte über den Teppich, machte einen Bogen und kam wieder zurück. Vor der Frau hielt er an. Der junge Mann sprach leise in das Steuerungsgerät und man hörte eine Stimme: "Hallo, meine allerliebste Tante, wie versprochen komme ich heute ohne den Bengel. Wenn du wissen möchtest, wie mein geliebtes Köfferchen hergekommen bin, dann sieh dir diese DVD an!" Und damit fuhr eine DVD aus einem Schlitz an der Oberseite des Koffers.
"Na schön, das schau ich mir später an. Aber jetzt mach mir den Koffer auf!"

Der Neffe legte den Koffer auf ein Tischen, holte ein Schlüsselchen aus der Tasche und öffnete damit die Schlösser an den Schnallen. Als er auf die Schnallen drückte, sprang der Deckel des Köfferchens auf: Er war vollgestopft mit allen möglichen Geräten.
"Alle Achtung!" machte der Taxifahrer.
Der Neffe spielte wieder auf seinem Gerät und zeigte der Tante das Display: Darauf sah man die zerknitterte Hose des Taxifahrers, der sich über den Koffer beugte. Er drückte auf ein Knöpfchen und auf dem Gerät erschien das Gesicht der Tante, die in die Innereien des Köfferchens starrte. Auf dem Display kam es näher heran und fuhr wieder weiter weg.
Der Neffe fingerte wieder an seiner Steuerung und man hörte das Surren eines kleinen Elektromotors, der die Rädchen am Boden des Koffers in Bewegung setzte.
"Ich wusste immer, dass du ein helles Köpfchen hast. Aber das hätte ich dir doch nicht zugetraut," meinte die Tante. "Aber was ist denn das für eine Blase hier?" Und damit griff sie in den Koffer und hob einen Plastikbehälter heraus, in dem eine trübbraune Flüssigkeit hin und her schwappte.
"Lass das, Tante!" sagte der Neffe. Aber dafür war es schon zu spät: Sie hatte einen kleinen Gummischlauch abgerissen. Aus der Öffnung des Behälters tropfte braune Soße auf den Teppich. "Mein Gott, was für ein Gestank!" stöhnte die Frau, hielt sich die Nase zu, lief vors Haus und atmete tief durch. Der Taxifahrer folgte ihr: "Was laufen Sie davon? Holen Sie mir den stinkenden Teppich aus dem Haus!"
Zusammen mit dem Neffen zog der Fahrer den Teppich durch den Eingang und sie breiteten ihn auf dem Rasen vorm Haus aus. "Nein! Doch nicht hier. Da zieht mir der Gestank durch das ganze Haus. Dort hinten hinter der Garage!"
Als der Taxifahrer mit dem Neffen zurück kam, fuhr die Frau ihn an: "Wieso sind Sie eigentlich immer noch da?"
Und als der Fahrer knapp grüßte und wegging, meinte sie zu ihrem Neffen: "Okay, du kriegst die 5000. Aber das sag ich dir, die Teppichreinigung zieh ich dir davon ab."
 
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Das Holzpferd
Johannes Merkel

Es war einmal ein Junge, der von seinem Opa ein altes Holzpferd geschenkt bekam, das war so groß, dass man sich richtig draufsetzen konnte. “Wenn man sich richtig draufsetzen kann, dann soll das Pferd auch richtig reiten," sagte sich der Junge, setzte sich auf das Holzpferd und rief: „Los! Lauf los!“
Aber was machte das Holzpferd? Es stand da und bewegte sich keinen Finger breit.

Das fand der Junge gemein und er drohte: „Wenn du nicht losläufst, dann rufe ich die Peitsche, damit sie dir die Peitschenschnur über das Hinterteil zieht!“
Das Holzpferd aber stand da und bewegte sich keinen Finger breit. Da befahl der Junge: „Peitsche! Zieh ihm die Peitschenschnur über das Hinterteil!“
Aber was antwortete ihm die Peitsche? „Nein, das mach ich nicht! Das ist doch ein Holzpferd. Wie soll das denn laufen?“

Das brachte den Jungen auf und er rief: „Wenn du ihm die Peitschenschnur nicht über das Hinterteil ziehst, dann rufe ich die Schere, damit sie dir die Peitschenschnur durchschneidet!“
Und weil die Peitsche die Peitschenschnur noch immer nicht über das Hinterteil des Holzpferdes ziehen wollte, befahl er: „Schere, schneide die Peitschenschnur durch!“
Aber was antwortete ihm die Schere? „Nein, das mach ich nicht! Ohne Peitschenschnur wäre die Peitsche doch gar keine Peitsche mehr“.

Das machte den Jungen wütend und er schimpfte: „Wenn du die Peitschenschnur nicht durchschneidest, dann rufe ich den Hammer, damit er dich kaputt schlägt!“
Und weil die Schere die Peitschenschnur noch immer nicht durchschneiden wollte, befahl er: “Hammer! Schlage die Schere kaputt!“.
Aber was was antwortete ihm der Hammer? „Nein, das mach ich nicht! Wenn ich sie kaputt schlagen würde, könnte die Schere doch nicht mehr schneiden.“

Das machte den Jungen rasend und er schrie: „Wenn du die Schere nicht kaputt schlägst, dann rufe ich das Feuer, damit es deinen Stiel verbrennt!“
Und weil der Hammer die Schere noch immer nicht kaputt schlagen wollte, befahl: „Feuer! Verbrenne den Stiel des Hammers!“
Aber was antwortete ihm das Feuer? „Nein, das mach ich nicht! Ohne Stiel könnte er ja gar nicht mehr hämmern.“

Das ließ den Jungen ausrasten und er brüllte: „Wenn du den Hammerstiel nicht verbrennst, dann rufe ich das Wasser, damit es dich löscht.“
Und weil das Feuer den Hammerstiel noch immer nicht verbrennen wollte, befahl der Junge dem Wasser: „Lösche das Feuer!“
Aber was was antwortete ihm das Wasser? „Nein, das mach ich nicht. Ohne Feuer würde es im Haus doch eiskalt werden.“

Der Junge kochte vor Wut und holte einen Eimer Wasser, um damit das Feuer im Ofen zu löschen.
Da kriegte das Feuer Angst auszugehen und wollte den Hammerstiel verbrennen.
Da bekam der Hammer Angst, dass sein Stiel verbrannte, und wollte die Schere kaputt schlagen.
Da bekam die Schere Angst, dass sie kaputt geschlagen würde, und wollte die Peitschenschnur durchschneiden.
Da bekam die Peitsche Angst, dass ihr die Peitschenschnur zerschnitten würde, und wollte die Peitschenschnur über das Hinterteil des Holzpferdes ziehen.
Das Holzpferd aber bekam Angst, dass ihm die Peitschenschnur über das Hinterteil gezogen würde, und was machte es? Plötzlich bewegten sich seine Holzbeine, dann machte es ein Schrittchen, dann einen richtigen Schritt und dann lief es los und lief und lief, und wollte gar nicht mehr aufhören zu laufen.
Als der Junge auf seinem Holzpferd wieder nach Hause geritten kam, brachte er das Pferd in den Stall und sagte: „Na siehst du, ich habe es doch gleich gesagt! Mit einem Pferd, auf dem man richtig sitzen kann, kann man auch richtig reiten!“ Und weil ein Pferd, auf dem man richtig sitzen und richtig reiten kann, auch richtig fressen muss, legte er ihm einen Ballen frisches Heu in die Raufe.
Glaubt ihr, das Holzpferd hat das Heu auch gefressen?

[Sprachförderung: Imperativ, Nebensatzbildung]
 
Geschichten, die grammatische Regeln vermitteln
Subjekt-Verb-Entsprechung

Der Gedanken lesende Papagei
Johannes Merkel


In einer Stadt in Indien lebte ein Kaufmann, der den ganzen Tag in seinem Laden saß um auf Kunden zu warten. Und weil er sich beim Warten langweilte, wünschte er sich schon lange Gesellschaft, die ihm im Laden Abwechslung und Unterhaltung bieten würde.
Als er eines Tages über den Markt ging, sah er einen alten Mann vor einem Käfig mit einem Papagei sitzen, an dem ein Schild hing: Sprechender Papagei. Da dachte sich der Kaufmann: „Dieser Vogel könnte mich unterhalten, wenn ich mich langweile.“ Kaum hatte der Papagei den Kaufmann gesehen, rief er auch schon aus: “Ich könnte dich unterhalten, wenn du dich langweilst.” Da lachte der Kaufmann und kaufte den lustigen Vogel mitsamt dem Käfig und hing ihn in seinem Laden an der Decke auf.
Der Kaufmann hielt es natürlich für Zufall, dass ihm der Papagei zugerufen hatte, was dem Kaufmann gerade durch den Kopf gegangen war. Noch ahnte er nicht, welch wundersame Fähigkeit dieser Vogel besaß. Der konnte nämlich nicht nur sprechen, er konnte sogar Gedanken lesen. Nur eines konnte er nicht: den Mund halten. Sobald er einen Gedanken gelesen hatte, musste er ihn auch schon lauthals herauskrächzen. Ich weiß nicht, ob er diese Gedanken auch verstand. Ich stelle mir eher vor, dass er Gedanken hörte, wie wir laut geäußerte Sätze hören, und die krächzte er dann einfach nach.

Kaum hatte der Kaufmann den Vogelkäfig aufgehängt, kam eine alte Frau in den Laden und fragte, ob sie zwei Meter gute gelbe Seide bekommen könne.
Gelbe Seide hatte der Kaufmann nicht mehr am Lager, doch er hatte noch ein Restchen von einem billigen gelben Stoff, der wie Seide glänzte. Er dachte sich: “Den billigen Fetzen dreh ich der Alten als hochwertige Seide an.”
Aber was krächzte da der Gedanken lesende Papagei? “Den billigen Fetzen drehst du der Alten als hochwertige Seide an.”
Da merkte die Frau, dass sie der Kaufmann betrügen wollte, bedankte sich und ging.
“Wenn du das noch mal machst, dreh ich dir den Hals um!” dachte der Kaufmann.
Und was krächzte der Papagei? „Wenn ich das noch mal mache, drehst du mir den Hals um.“
Da staunte der Kaufmann: Dieser Papagei schien die Gedanken zu lesen!

Ein wenig später kam ein vornehm gekleideter Herr in den Laden.
Der Kaufmann schaute ihn an und dachte: „Der ist bestimmt kein Hungerleider. Mit dem kann ich ein gutes Geschäft machen.“
Und was krächzte der Papagei? „Der ist bestimmt kein Hungerleider. Mit dem kannst du ein gutes Geschäft machen.“
Da lachte der vornehme Herr und meinte: „Was für ein kluges Tierchen! Und Recht hat er: Mit mir können Sie tatsächlich ein sehr gutes Geschäft machen.“
Der Kaufmann fragte ihn nach seinen Wünschen und der vornehme Herr bestellte einen ganzen Ballen teuren Samtstoffes. „Und zur Bezahlung überlasse ich Ihnen diesen wertvollen Rubinring.“
Der Kaufmann betrachtete den Rubin. Ob der wohl wirklich echt war? Oder nur aus Glas? Leider hatte er keine Ahnung von Edelsteinen und konnte einen echten Rubin nicht von einem nachgemachten unterscheiden.
Während der Kaufmann den Ring von allen Seiten betrachtete, dachte der vornehme Herr: „Der Dummkopf versteht nichts von Edelsteinen. Er geht mir bestimmt auf den Leim!“
Und was krächzte da der Papagei? „Du Dummkopf verstehst nichts von Edelsteinen. Du gehst ihm bestimmt auf den Leim.“
Da merkte der Kaufmann, dass dieser vermeintliche Herr ein Betrüger war und sagte: „Mein Herr, der Rubin ist aus Glas!“ Der Kerl warf dem Papagei einen bösen Blick zu und verschwand.
Der Kaufmann aber blickte den Papagei freundlich an und dachte: „Au weia! Wenn du mir nicht geholfen hättest, wäre ich voll in die Falle getappt.“
Und was krächzte da der Papagei? „Au weia! Wenn ich dir nicht geholfen hätte, wärst du voll in die Falle getappt.“

So ging das jetzt den ganzen Tag: Der Papagei verriet dem Kaufmannn die geheimen Gedanken seiner Kunden. Aber leider verriet er auch die geheimen Absichten des Kaufmanns an die Kunden. Damit der Vogel ihn nicht verraten konnte, suchte der Kaufmann, sich keine Gedanken über seine Kunden zu machen, aber das ging meistens schief: Unwilkürlich schoss ihm dann doch ein Gedanke durch den Kopf, den der Papgei auch gleich lauthals herausplärrte. Ihr könnt euch ja ausmalen, was für Kunden zum Kaufmann in den Laden kamen und welche Gedanken der Kunden oder des Kaufmanns der Papagei dann lauthals herauskrächzte?

In seinem Viertel galt der Kaufmann als steinreich und es ging das Gerücht um, er verwahre seinen Reichtum in einer Schatzkiste. Davon hörten auch zwei Räuber und beschlossen, die Schatzkiste des Kaufmanns zu stehlen. Nur wo hatte der Kaufmann seine Schatzkiste versteckt?
Darüber stritten die beiden Räuber. „Ich schätze er hat sie hinter seinem Haus in der Erde vergraben," meinte der eine.
„Ach was! Ich wette, er schläft auf seiner Schatzkiste. Wir müssen ihn nachts in seinem Bett überfallen.“
Weil sie sich nicht einigen konnten, wo der Kaufmann seine Schätze versteckte, dachten sich die Räuber einen Trick aus. Der eine Räuber verkleidete sich als vornehme Dame, ging in den Laden und fragte den Kaufmann: „Können Sie mir einen Sack verkaufen, der 1000 Goldstücke aushält ohne zu reißen?“
“Selbstverständlich,” meinte der Kaufmann. Und damit überreichte er der Dame einen kräftigen Leinensack. Da kam der verkleidete Räuber mit seinem Trick.
“Wissen Sie, ich muss hundertprozentig sicher sein, dass er nicht reißt,“ flötete die Dame und warf dem Kaufmann einen verführerischen Blick zu. „Ich flehe Sie an, füllen Sie mir zur Probe 1000 Goldstücken in den Sack, um zu beweisen, dass er nicht reißt!“
Und dabei dachte der verkleidete Räuber: “Wenn er das Gold in den Sack füllt, verrät er, wo er seinen Schatz versteckt.”
Aber was krächzte da der Papagei? “Wenn du das Gold in den Sack füllst, verrätst du, wo du dein Geld versteckst.”
Da bemerkte der Kaufmann den Trick und die vornehme Dame rannte aus dem Laden.

Draußen wartete der Kumpel des Räubers. „Aussichtslos! Er hat einen Papagei, der Gedanken liest," schimpfte der verkleidete Räuber. "Wir müssen dieses Mistvieh umbringen."
„Falsch,“ antwortete der zweite. „Wir müssen ihn fangen. Er kann uns verraten, wo der Geizkragen seine Schätze versteckt.”
Was für ein guter Einfall! Nur wie sollten sie den Gedanken lesenden Papagei fangen, ohne dass der ihre finsteren Gedanken bemerkte?
“Ganz einfach.“ sagte der zweite Räuber. “Wir müssen jemand vorbeischicken, der keine finsteren Gedanken hat.”
Zufällig hatte der erste Räuber eine Oma, die ein Papageiennarr war. Der Räuber fragte sie, ob sie schon mal einen Papagei gesehen hätte, der Gedanken lesen kann. “Na so was!” wunderte sich die Oma. “Den muss ich sehen!”
Da schickte sie der Räuber zum Kaufmann und gab ihr Futter mit, um das Wundertier damit zu belohnen. Aber er verriet ihr natürlich nicht, dass das Futter mit einem Gift präpariert war, das den Papagei genau 12 Stunden leblos erscheinen ließ.
“Was bist du für ein liebes Vögelchen!” dachte die Oma, als sie im Laden des Kaufmanns den Papagei erblickte. “Ich habe dir auch was Leckeres mitgebracht”.
Und was krächzte der Papagei? “Was bin ich für ein liebes Vögelchen! Du hast mir auch was Leckeres mitgebracht.”
Weil sie ihren Spaß mit dem Vogel hatte, traute ihr der Kaufmann keine finsteren Gedanken zu und hatte auch nichts dagegen, dass sie dem Papagei zu fressen gab.
Aber was passierte nur zwei Stunden später? Das Wundertier ließ die Flügel hängen und fiel von der Stange. Dem Kaufmann kamen die Tränen, aber was sollte er machen? Er wartete noch bis zum Abend, aber als sich der Vogel noch immer nicht regte, ging er in den Garten, grub ein Loch und beerdigte das Wundertier.

Der Kaufmann ahnte nicht, dass er dabei beobachtet wurde. Kaum war es Nacht geworden, kamen die Räuber aus ihrem Versteck und gruben den Papagei wieder aus. Als der Papagei nach 12 Stunden wieder zum Leben erwachte, brachen sie in der Nacht die Tür zum Laden des Kaufmanns auf und stiegen ein.
“Gleich zeigt er uns, wo der Geizkragen sein Geld versteckt!” freute der eine Räuber.
Und was krächzte der Papagei? „Gleich zeige ich euch, wo der Geizkragen sein Geld versteckt!”
Die Räuber ließen den Papagei frei herumfliegen, damit er ihnen zeigen konnte, wo der Kaufmann sein Geld versteckte. Woher sollte das der Papagei wissen? Er hing immer nur an der Decke und sah gar nicht, wohin der Kaufmann sein Geld brachte. Im Kaufmannsladen flog er zu seinem Käfig und setzte sich hinein.
„Aha,“ dachten der Räuber. „Er versteckt sein Geld im Vogelkäfig.“
Und was krächzte der Papagei? „Er versteckt sein Geld im Vogelkäfig.“
Da holten die Räuber den Käfig von der Decke und untersuchten ihn. Aber im Käfig fanden sie nichts als Papageienkacke.
Wütend griff sich ein Räuber den Vogel, schüttelte ihn und dachte: “Wenn du Mistvieh nicht redest, rupfe ich dir die Federn aus.”
Und was krächzte der Papagei? “Wenn ich Mistvieh nicht rede, rupfst du mir die Federn aus.” Dabei bekam er es mit der Angst zu tun und wedelte wild mit den Flügeln. Und weil er so viel Angst hatte, krächzte er so laut und aufgeregt, dass der Kaufmann aufwachte, der über dem Laden schlief.

“Wach ich oder träum ich?” dachte der Kaufmann. “Das hörte sich doch an wie mein verstorbener Papagei!”
Er stand auf und stieg die Treppe zum Laden hinunter. Als die Räuber die Treppe knarren hörten, versteckten sie sich zwischen den Stoffrollen.
Der Kaufmann sah den Papagei im Laden, zitterte vor Angst und dachte: “Bist du der Geist meines toten Papageis?”
Was krächzte da der Papagei? “Ich bin der Geist deines toten Papageis.”
Da warf sich der Kaufmann vor dem Papagei auf die Knie und flehte: “Was willst du von mir? Ich mache alles, was du wünscht!”
Da hatte einer der Räuber eine großartige Idee. Er dachte nämlich absichtlich: “Öffne uns deine Schatzkiste und verschwinde!”
Was krächzte da der Papagei: “Öffne ihnen deine Schatzkiste und verschwinde!”
“Ihnen?” fragte sich der Kaufmann, und er merkte daran, dass Fremde im Laden sein mussten. Und er dachte sich: “Denen werde ich gerade meinen Schatz zeigen”.
Was krächzte da der Papagei: “Denen wirst du gerade deinen Schatz zeigen.”
Da glaubten die Räuber, dass ihnen der Kaufmann zeigen würde, wo er sein Geld aufbewahrte. Sie kamen aus ihrem Versteck und meinten: „Dann rücken Sie mal damit heraus, wo Sie Ihre dicke Kohle verstecken!“
Der Kaufmann tat so, als ob er sie zu seiner Geldkiste führen würde, dabei lockte er sie auf eine Klappe, und als sie darauf standen, betätigte er die Klappe und die Räuber fielen in den Keller. Der Kaufmann rief die Polizei und ließ die Räuber einsperren.
„Diesmal hat mich dieses kluge Tier vor dem Ruin gerettet!“ dachte der Kaufmann.
Und was krächzte der Papagei? „Diesmal habe ich kluges Tierchen dich vor dem Ruin gerettet!“
Zum Dank kaufte der Kaufmann dem Gedanken lesenden Papagei einen goldenen Käfig.

Eines Tages breitete der Kaufmann ein großes Tuch aus und hing es an der Decke zum Aushängen auf. Dabei dachte er: „Dieser Vogel ist mir sehr nützlich, wenn er mir die Gedanken der Kunden verrät. Wie schade, dass dieses Mistvieh auch meine eigenen Gedanken an die Kunden verrät.“
Kaum hatte er das gedacht, horchte er auf den Vogel, aber der saß still in seinem Käfig. Das Tuch hing zwischen dem Kaufmann und dem Vogelkäfig.
„Vielleicht kann er Gedanken nur lesen, wenn er die Leute sieht,“ dachte der Kaufmann und horchte. Wieder blieb der Papagei still im Käfig. Da stellte sich der Kaufmann vor das Tuch, wo ihn der Papagei sehen konnte und dachte: „Ich werde einen Vorhang vor seinen Käfig anbringen, den ich auf- und zuziehen kann.“
Und was krächzte da der Papagei? „Du wirst einen Vorhang vor meinen Käfig anbringen, den du auf- und zuziehen kannst.“
Schon am nächsten Tag ließ der Kaufmann einen Vorhang vor dem Käfig anbringen. Wenn er in Zukunft wissen wollte, was seine Kunden dachten, dann zog er den Vorhang auf. Wenn er aber seine eigenen Gedanken geheim halten wollte, dann zog er einfach den Vorhang wieder zu. Deshalb liefen die Geschäfte immer besser und der indische Kaufmann wurde damit wirklich so stinkreich, wie die Leute in seinem Viertel schon immer gemunkelt hatten.

[Sprachförderung: Bildung der Verbform gemäß dem Subjekt]
 
Geri
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